Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung der Verkehrssicherungspflicht bei 20 cm tiefem Schlagloch
Leitsatz (amtlich)
1. Kommt es zur Beschädigung eines Pkw beim Durchfahren eines 20 cm tiefen Schlagloches auf einer stark befahrenen Durchgangsstraße einer Großstadt und ist die Straße bereits seit Jahren in einem schlechten Erhaltungszustand, so liegt eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht auch dann vor, wenn für den betroffenen Straßenabschnitt eine Geschwindigkeitsreduzierung auf 30 km/h bestand und (allerdings nicht unmittelbar an der Unfallstelle) Schilder mit dem Hinweis "Schlechte Wegstrecke" bzw. "Straßenschäden" aufgestellt waren.
2. Bei einem dem Verkehrssicherungspflichtigen erkennbaren schlechten Zustand einer derartigen Straße reicht es im Winter bei der zusätzlichen Gefahr von Frostaufbrüchen nicht aus, wenn Kontrollen regelmäßig nur einmal monatlich erfolgen.
3. Der Geschädigte muss sich in diesen Fällen wegen des auch für ihn erkennbar schlechten Straßenzustandes ein Mitverschulden von 50 % anrechnen lassen.
Normenkette
BGB §§ 823, 839; GG Art. 34
Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 14.07.2006; Aktenzeichen 16 O 175/05) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 14.7.2006 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 16. Zivilkammer des LG Hannover unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird - insoweit unter Aufhebung des Versäumnisurteils des LG Hannover vom 13.10.2005 - verurteilt, an den Kläger 1.337,36 EUR nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.3.2005 sowie weitere 87,70 EUR zu zahlen. Im Übrigen wird das Versäumnisurteil vom 13.10.2005 aufrechterhalten.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 60 % und die Beklagte 40 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Berufung ist teilweise begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf einem Rechtsfehler (§ 513 Abs. 1, Alt. 1, § 546 ZPO). Ferner rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zulegenden Tatsachen die angefochtene Entscheidung nicht (§ 513 Abs. 1, Alt. 2 ZPO). Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Schadensersatz gem. § 839 BGB, Art. 34 GG, § 10 NStrG wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht infolge des Unfalls vom 23.1.2005 i.H.v. 1.337,36 EUR nebst anteiligen Zinsen zu.
1. Erstinstanzlich war unstreitig, dass der Kläger am 23.1.2005 gegen 16:30 Uhr mit seinem Pkw in der G.-Straße in H. in Fahrtrichtung M. hinter einer Baustelle nach dem Wiedereinscheren auf die rechte Fahrbahn in eine Fahrbahnvertiefung fuhr, deren genaue Größe zwischen den Parteien zwar streitig ist, die aber jedenfalls eine Tiefe von 20 cm hatte. Hierdurch kam es zur Beschädigung eines Reifens und zweier Felgen. Soweit die Beklagte nunmehr erstmals in zweiter Instanz den Hergang des Unfalls bestreitet, handelt es sich um neuen Vortrag, der gem. § 531 Abs. 2 ZPO mangels Vorliegens von Zulassungsgründen nicht zu berücksichtigen ist.
2. Die Beklagte hat durch das vorhandene Loch in der Straße auch ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt.
a) Grundsätzlich ist derjenige, der eine Gefahrenlage schafft, verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern (BGH VersR 2003, 1319). Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst danach diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schaden zu bewahren. Voraussetzung ist, dass sich vorausschauend die naheliegende Gefahr ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden können. Soweit es insb. um Straßen geht, ist der Verkehrssicherungspflichtige verpflichtet, den Verkehr auf den Straßen, soweit dies mit zumutbaren Mitteln geschehen kann, möglichst gefahrlos zu gestalten, insb. den Verkehrsteilnehmer gegen unvermutete, aus der Beschaffenheit der Straße sich ergebende und nicht ohne Weiteres erkennbare Gefahrenquellen zu sichern oder zumindest vor diesen zu warnen. Hierbei wird der Umfang der Verkehrssicherungspflicht maßgebend bestimmt durch die Art und Häufigkeit der Benutzung der Straße und ihre Verkehrsbedeutung (BGH MDR 1966, 384 für abgenutztes Pflaster an Verkehrsknotenpunkt). Grundsätzlich muss sich allerdings auch der Straßenbenutzer den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen und hat die Straße so hinzunehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbietet (BGH VersR 1979, 1055; OLG Celle OLGReport Celle 1995, 174; OLG Stuttgart v. 1.10.2003 - 4 U 118/03, MDR 2004, 392 = OLGReport Stuttgart 2003, 483 = VersR 2004, 215). Der Verkehrssicherungspflichtige muss deshalb nur diejenigen Gefahren ausräumen oder vor ihnen warnen, die für den Benutzer, der die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermag.
b) Entgegen der Ansicht des LG liegt bei dem hier vorhandenen Schlagloch ...