Leitsatz (amtlich)
1. Anwaltliche Werbung unterliegt heute im Wesentlichen nur noch den allgemeinen Beschränkungen, die sich aus dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) ergeben. Als schützenswertes Allgemeininteresse ist das Vertrauen des Publikums darauf anzusehen, dass der Rechtsanwalt seine Dienste nicht rein gewerblich und gewinnorientiert anbietet, sondern seine Aufgaben unabhängig, eigenveratwortlich, gewissenhaft und verschwiegen erfüllt. Dies ist alleiniger Maßstab für Beschränkungen der Werbemöglichkeiten eines Rechtsanwalts.
2. Der öffentliche Auftritt eines Rechtsanwaltes unter der Bezeichnung "anwalt sofort" ist hieran gemessen nicht zu beanstanden.
3. Die Werbung mit sog. "ab-Preisen" für anwaltliche Erstberatungen in verschiedenen Rechtsgebieten ist nicht unlauter i.S.d. §§ 3 ff. UWG.
Verfahrensgang
LG Halle (Saale) (Urteil vom 14.06.2007; Aktenzeichen 12 O 48/07) |
Tenor
Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das am 14.6.2007 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer - 2. Kammer für Handelssachen - des LG Halle, 12 O 48/07, wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Verfügungsklägerin zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
und beschlossen:
Der Kostenwert des Berufungsverfahrens wird auf 40.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Verfahrensbeteiligten sind Rechtsanwälte in H.. Der Verfügungsbeklagte wirbt dort für seine anwaltliche Tätigkeit mit der Kanzleibezeichnung "anwalt sofort" auf Briefköpfen, Flyern und als Aufschrift an den Fenstern seiner Büroräume.
Im März 2007 ließ er einen Flyer verteilen, der auf der Vorderseite u.a. die Aussagen
"sofort-Beratung oder Termin
sofort-Rechtsklarheit und -sicherheit
Beratung bei Kaffee und Kuchen"
enthält. Auf der Rückseite werden unter der Überschrift "Unsere Angebote für eine anwaltliche Erstberatung" verschiedene Rechtsgebiete aufgelistet, jeweils kombiniert mit einer "ab ... EUR"-Preisangabe zwischen 20 EUR und 40 EUR. Der Begriff "Erstberatung" ist durch ein Sternchen gekennzeichnet und wird in einer Fußnote, wie folgt erläutert:
"Eine anwaltliche Erstberatung ist eine erste überschlägige Beratung, in welcher der Rechtsanwalt Ihnen für Ihr Problem eine Beratung mit Sachverhaltserfassung, rechtlichen Lösungsansätzen und Kostenfolgen für Ihre Angelegenheit bietet."
Der Flyer trägt auf der Vorderseite einen runden Aufkleber mit der Aufschrift:
"Verbraucherrechtsberatung zum Festpreis von 20 EUR... am 22.3.2007 von 14:00-18:00 Uhr bei anwalt sofort" und (im Kleinstdruck) den Preisangabenzusatz "zzgl. 19 % MwSt.".
Die Verfügungsklägerin meint, dass diese Werbung aus verschiedenen Gründen gegen das Verbot unlauteren Wettbewerbs verstößt. Sie mahnte den Verfügungsbeklagten mit Schreiben vom 4.4.2007 erfolglos ab.
Die von ihr angerufene 2. Kammer für Handelssachen des LG Halle hat den Erlass einer einstweiligen Verfügung, gerichtet auf die Untersagung der Verwendung der Werbeaussage "anwalt sofort" sowie des oben beschriebenen Flyers im geschäftlichen Verkehr, abgewiesen und ihre Entscheidung im Wesentlichen darauf gestützt, dass ein Verstoß gegen Bestimmungen des UWG nicht vorliege. Hiergegen richtet sich die Berufung der Verfügungsklägerin.
Von einer weiteren Darstellung der tatsächlichen Feststellungen i.S.v. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO sowie der Rechtsausführungen der Verfahrensbeteiligten und des Verlaufs des Rechtsstreits im Einzelnen wird nach §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.
II. Die Berufung der Verfügungsklägerin ist zulässig; insbesondere wurde sie form- und fristgemäß eingelegt und begründet. Sie hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Die Kammer hat den Antrag auf Erlass einer strafbewehrten Unterlassungsverfügung zu Recht als unbegründet abgewiesen. Die zutreffenden Erwägungen, auf die die Kammer ihre angefochtene Entscheidung gestützt hat, werden durch das Berufungsvorbringen der Verfügungsklägerin nicht entkräftet.
1. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für anwaltliche Werbung unterliegen einem starken Wandel. Sahen früher die berufsständischen Regelungen ein striktes Werbeverbot vor, um die herausgehobene Stellung der Rechtsanwaltschaft als Organ der Rechtspflege zu schützen, sind inzwischen Werbemaßnahmen für anwaltliche Dienstleistungen, ebenso wie für andere Dienstleistungen, grundsätzlich zulässig. Diese Rechtsentwicklung wird wesentlich durch die immer konkretere Umsetzung der Dienstleistungsfreiheit innerhalb des EU-Binnenmarktes (Art. 49 EG) sowie durch die Rechtsprechung des BVerfG zur Ausgestaltung der Berufsausübungsfreiheit von freiberuflich Tätigen (Art. 12 Abs. 1 GG) befördert. Es kommt inzwischen nicht mehr darauf an, eine konkrete Werbemaßnahme zu rechtfertigen, sondern umgekehrt bedarf die Beschränkung der Werbemöglichkeiten eines Rechtsanwalts einer sachlichen Rechtfertigung (vgl. BVerfG, Beschluss v. 14.7.1987, 1 BvR 537/81 und 195/87, NJW 1988, 191 sowie Urteil v. 14.12.1999, 1 BvR 1327/98 - BVerfGE 101, 312 = NJW 2000, 347; BVerfG, Beschluss v. 26.10.2004, 1 BvR 981/00 - BVerfGE 111, 366 = NJW 2004, 3765