Leitsatz (amtlich)
1. Durch eine Absichtserklärung der Versicherung, den bestehenden Niederlassungspartnervertrag sechs Monate vor dessen Ablauf um ein weiteres Jahr zu verlängern, kann ein vorvertragliches Schuldverhältnis im Sinne von § 311 Abs. 2 BGB zustande kommen.
2. Auch wenn ein qualifizierter Vertrauenstatbestand in Bezug auf eine Vertragsverlängerung geschaffen worden sein kann, können stark unterbelegte Geschäftszahlen einen triftigen Grund darstellen, trotzdem keine Vertragsverlängerung zu vereinbaren.
Verfahrensgang
LG Halle (Saale) (Urteil vom 19.01.2022; Aktenzeichen 5 O 125/21) |
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das am 19. Januar 2022 verkündete Einzelrichterurteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Halle wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
A. Der Kläger war bei der Beklagten als selbständiger Handelsvertreter tätig und macht nunmehr Schadensersatz dafür geltend, dass ihn die Beklagte statt bis zum 30. April 2022 nur bis zum 31. Mai 2021 beschäftigt hat.
Der Kläger war als selbständiger Handelsvertreter tätig und vertrieb auf Provisionsbasis Versicherungen. Seinen ersten Agenturvertrag vom 4. Dezember 2001 mit der V. Versicherung AG und V. Lebensversicherung AG als Unternehmen der E. Versicherungsgruppe mit Wirkung zum 1. Januar 2002 hatte neben dem Kläger der Bezirksdirektor der Bezirksdirektion D. der V. Versicherung AG und V. Lebensversicherung AG unterschrieben (vgl. Anlage K8, Bl. 84 ff.).
Mit Satzung vom 9. November 2012 wurde die Beklagte gegründet und am 27. November 2012 in das Handelsregister HRB 69112 eingetragen.
Mit Wirkung zum 1. November 2014 schloss die Beklagte mit dem Kläger einen Vertriebspartnervertrag (Anlage B5, Bl. 175 ff. Bd. I d. A.). Dort heißt es unter Ziffer 1.:
"Der Geschäftsverkehr mit Ihnen wird regelmäßig über die Regionaldirektion H. abgewickelt."
Unterschrieben haben diesen Vertrag der Regionaldirektor der Regionaldirektion H., dessen Büroleiter und der Kläger (Anlage B5, Bl. 180 Bd. I d. A.)
In denen Jahren 2015/2016 musste der Kläger der Beklagten einen Großteil seiner Provisionen zurückzahlen, weil es in seinem Vertriebsteam zu strafrechtlich relevanten Betrugsvorwürfen gekommen war.
Zum Jahr 2017 löste die Beklagte die Regionaldirektion H. auf. Für die Abwicklung des Geschäftsverkehrs mit der Beklagten war nunmehr die Regionaldirektion M. zuständig. Leiter dieser Regionaldirektion war zunächst ein Herr F., im Anschluss der Streitverkündete. Dieser hatte laut Handelsregisterauszug HRB 69112 (Bl. 4 ff. Bd. II d. A.) bis zu ihrer Löschung am 16. März 2017 Gesamtprokura mit einem anderen Prokuristen (Bl. 11, 19 Bd. II d. A.) und ab 18. April 2018 Gesamtprokura gemeinsam mit einem Vorstandsmitglied (Bl. 22 Bd. II d. A.):
Am 14. November 2017 wandte sich der Kläger in einem persönlichen Gespräch an den Streitverkündeten mit der Bitte zum Ausgleich des Verdienstausfalles in den Jahren 2015/2016, seinen Vertriebspartnervertrag um ein Jahr über das 65. Lebensjahr - das reguläre Ende des Vertrages - hinaus zu verlängern. Der Streitverkündete teilte ihm nach diesem Gespräch mit Schreiben vom 30. November 2017 (Anlage K3, Bl. 26 ff. d. A.) Folgendes mit:
"Sehr geehrter Herr Fe.,
in unserem persönlichen Gespräch am 14.11.2017 baten Sie um eine mögliche Verlängerung des Agenturvertrages über das 65. Lebensjahr hinaus.
Ich sichere Ihnen hiermit zu, unter der Voraussetzung, dass Sie zum Zeitpunkt des letzten offiziellen Vertragsjahres bei bester Gesundheit sein werden, Ihren bestehen Agenturvertrag 6 Monate vor Ablauf, das heißt zum 1.11.2020, um ein weiteres Jahr, bis zum 30. April 2022 zu verlängern.
(...)
Mit freundlichen Grüßen
E. Beratung und Vertrieb AG
Regionaldirektion M.
ppa S. H."
Am 1. März 2020 schloss der Kläger mit der Beklagten einen neuen Vertriebspartnervertrag (Anlage K1, Bl. 13 ff. d. A.):
Dessen Präambel lautet u.a.:
"Ihr neuer Vertrag enthält keine materiellen Verschlechterungen und ist wertgleich zu ihrem bisherigen Vertrag, sofern sie sich im aktuellen Vertragsstatus befinden. Sollten darüber hinaus mit Ihnen vertragliche Vereinbarungen (z.B. Endalter, Befristung ihres Vertrages (...) getroffen worden sein, behalten diese ihre Gültigkeit."
In Ziffer 1. heißt es des Weiteren:
"Der Geschäftsverkehr mit Ihnen wird regelmäßig über die Regionaldirektion M. (267) der E. Ausschließlichkeitsorganisation (Systematik E. AG) abgewickelt."
In Ziffer 10.3. ist zum Vertragsende festgehalten:
"Ohne, dass es einer Kündigung bedarf, endet das Vertragsverhältnis mit dem Ablauf des Kalendermonats, in dem Sie das 65. Lebensjahr vollendet haben."
Unterschrieben ist der Vertrag von K. St. und P. G..
Am 2. Dezember 202...