Leitsatz (amtlich)

1. Eine ernsthafte Möglichkeit eines offensichtlichen Fehlers i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 2 GasGVV, welcher den Endabnehmer zur Zahlungsverweigerung berechtigt, ergibt sich nicht allein aus einer - hier erheblichen - Höhe der nachberechneten Entgeltforderung, wenn in einem Lieferverhältnis über Erdgas über mehrere Jahre hinweg die Abrechnung lediglich über - nicht plausibel geringe - Verbrauchsschätzungen erfolgte und erst beim Austausch des Gaszählers die deutlich zu niedrige Abrechnung auffiel. Hierfür ist es nicht maßgeblich, ob die Voraussetzungen für eine Verbrauchsschätzung nach § 11 Abs. 3 GasGVV vorlagen.

2. Die in § 18 Abs. 2 GasGVV geregelte Ausschlussfrist schützt nur den redlichen Gaskunden. Einem redlichen Gaskunden in der Lage des Vermieters eines Mehrfamilienhauses, der Zugang zum Gaszähler hat und diesen jederzeit ablesen kann, der regelmäßig gegenüber seinen Mietern die die Gaskosten beinhaltenden Betriebskostenabrechnungen vornimmt und wechselnde Verträge mit Gaslieferanten schließt, darf nicht entgehen, wenn der Gaslieferant nur etwa ein Zehntel des tatsächlichen Verbrauchs abrechnet.

3. Für Entgeltforderungen aus einer Nachberechnung des tatsächlichen Gasverbrauchs beginnt der Lauf der Verjährungsfrist erst mit der Erteilung der Abrechnung über die Nachforderung und nicht mit der Erteilung der ursprünglichen, auf Verbrauchsschätzungen beruhenden Rechnungen.

 

Verfahrensgang

LG Halle (Saale) (Urteil vom 12.07.2022; Aktenzeichen 4 O 329/21)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das am 12. Juli 2022 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Halle, Gz: 4 O 329/21, wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist - wie das mit der Berufung angegriffene Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Halle - ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des jeweiligen Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

und beschlossen:

Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf 41.073,53 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten über Entgeltnachforderungen aus Gaslieferungen der Klägerin und zweier weiterer Lieferanten, die ihre Forderungen jeweils an die Klägerin abgetreten haben. Die Forderungen betreffen Gaslieferungen im Zeitraum vom 3. Oktober 2013 bis zum 31. Oktober 2020.

Die Lieferungen erfolgten an das mit einem mit acht Wohneinheiten ausgestatteten Mehrfamilienhaus bebaute Grundstück des Beklagten in der St. Straße 14 in M. . Den in dem o.g. Zeitraum jeweils gelegten Rechnungen lagen mit einer Ausnahme sämtlich Verbrauchsschätzungen zugrunde. Nur der Rechnung der damaligen Versorgerin und Zedentin W. AG vom 6. November 2017 (Anlage B 2, Bl. 52 d. A.) war - am 10. Oktober 2017 - eine Zählerablesung vorausgegangen. Dieser Rechnung wurde ein Zählerstand von 4.346 m3 zugrunde gelegt. Abgelesen worden sein soll nach dem klägerischen Vorbringen tatsächlich ein Verbrauch von 43.463 m3. Die Klägerin geht insoweit von einem Übertragungsfehler in ihrer Netzabteilung aus. Der Fehler sei erst im Verlauf des Prozesses erkannt worden. Der Beklagte bestreitet die nachberechneten Verbräuche.

Im Übrigen wird auf die landgerichtlichen Feststellungen Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage - bis auf einen Teil der Zinsansprüche und der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten - stattgegeben und den Beklagten zur Zahlung von 41.073,53 EUR verurteilt (Anlage K 9, Bl. 34 d. A.). Der Anspruch erwachse aus den jeweiligen Versorgungsverträgen mit der Klägerin und den Zedenten. Das Bestreiten des Beklagten mit Nichtwissen sei unerheblich. Er könne sich als Vermieter nicht auf das Fehlen der entsprechenden Unterlagen berufen. Auch trete er im Rechtsverkehr gewerblich mit einem Firmenlogo auf. Es dürfe daher Professionalität im Umgang mit Immobilien auch im Verhältnis zu Versorgungsunternehmen erwartet werden. Abrechnungen seien im Geschäftsverkehr 10 Jahre aufzubewahren. Im Übrigen könne er über seine Bank rückwirkend Überweisungsdaten erlangen und Prüfungen vornehmen.

Die Abtretungen begründeten keinen Zweifel an der Aktivlegitimation der Klägerin für die Nachforderungsansprüche aus der Belieferung des Beklagten durch die Zedenten. Auch der im Verlauf des Prozesses festgestellte Übertragungsfehler begründe keinen Zweifel an der Wirksamkeit der Abtretungserklärung der W. AG.

Das Bestreiten der Liefermengen mit Nichtwissen durch den Beklagten sei unerheblich. Die nachberechneten Energiemengen habe die Klägerin durch Ablesung beim Ausbau des Zählers am 23. Juni 2020 festgestellt. Der Beklagte habe in der vorgerichtlichen Korrespondenz im Juli 2021 vorgetragen, dass sich das Verbraucherverhalten in dem Objekt nicht verändert habe. Der mit dem neuen Zähler nach dem 23. Juni 2020 gemessene Verbrauch korrespondiere mit dem durch den ausgebaut...

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