Leitsatz (amtlich)

In Möbelhäusern sind Schränke so aufzustellen, dass sie durch ein vierjähriges Kind auch dann nicht zum Unfallen gebracht werden können, wenn dieses sich in einem unbeobachteten Moment unsachgemäß verhält.

 

Verfahrensgang

LG Magdeburg (Aktenzeichen 10 O 1147/00)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 17.05.2002; Aktenzeichen V ZR 193/01)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 29.12.2000 verkündete Urteil des LG Magdeburg (Geschäftsnummer: 10 O 1147/00) wird zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beschwer der Klägerin übersteigt 60.000 DM nicht.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

 

Gründe

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und wurde insbesondere frist- und formgerecht eingelegt. In der Sache hat sie keinen Erfolg.

Das LG hat – obschon in der Begründung nicht rechtsfehlerfrei, so doch im Ergebnis zutreffend – die Klage abgewiesen.

1. Der Klägerin steht dem Grunde nach ein Anspruch auf Schmerzensgeld (§§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB) zu. Die Beklagte hat eine ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht schuldhaft verletzt, wodurch die Klägerin eine Gesundheitsbeschädigung erlitt. Auf den Ablauf des Unfallherganges im Einzelnen kommt es dabei – entgegen der Auffassung des LG – nicht an. In Möbelhäusern sind Schränke so aufzustellen, dass sie durch ein vierjähriges Kind auch dann nicht zum Umfallen gebracht werden können, wenn dieses sich in einem unbeobachteten Moment unsachgemäß verhält. Es ist Möbelgeschäften und darin befindlichen „Fundgruben” zu eigen und gewollt, dass die Aufmerksamkeit der Eltern durch das Angebot an Mobilar auf dieses gelenkt und von den Kindern abgelenkt wird. Es ist Kindern zu eigen, dass diese kurze Momente der Unaufmerksamkeit nutzen, um entsprechend dem ihnen eigenen Spieltrieb die interessante Umgebung zu erkunden, ohne die gebotene oder auch nur irgendeine Vorsicht walten zu lassen. Möbelgeschäfte haben sich hierauf einzurichten und ihre Verkehrssicherungspflicht so wahrzunehmen, dass Kinder nicht durch umfallende Schränke verletzt werden.

2. Der Höhe nach übersteigt der Schmerzensgeldanspruch der Klägerin den Betrag nicht, der bereits vorprozessual gezahlt wurde. Der Anspruch ist daher durch Erfüllung (§ 362 BGB) erloschen.

a) Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes geht der Senat geht zum einen von dem – zwischen den Parteien nicht streitigen – Umstand aus, dass die Klägerin eine Riss- und Quetschwunde von ca. 2 cm am rechten Ohrläppchen erlitt. Die Behandlung der Verletzung verlief komplikationslos, eine gravierende optische Beeinträchtigung besteht nach Ausheilung nicht mehr. Zwar ist eine solche Verletzung schmerzhaft, jedoch würde sie für sich genommen noch kein Schmerzensgeld i.H.d. vorprozessualen Zahlung rechtfertigen.

b) Der Senat geht allerdings auch davon aus, dass auf den Unfall eine psychische Beeinträchtigung der Klägerin zurückzuführen ist. Der Senat legt dabei den Befundbericht der Zeugin Dr. R. vom 10.2.1998 (GA Bd. 1 Bl. 84), den Bericht der Zeugin Dr. M. vom 7.10.1997 (Anlage K2, GA Bd. 1 Bl. 6) und die schriftliche Aussage der Zeugin Dr. K. vom 29.3.2001 zugrunde. Einer persönlichen Vernehmung der o.g. Zeuginnen bedurfte es nicht, da hinsichtlich der Zeuginnen Dr. R. und Dr. M. keine über vorgenannte Berichte hinausgehende Tatsachen in deren Wissen gestellt wurden und die schriftliche Aussage der Zeugin Dr. K. detailliert und ausführlich ist. Da keine Bedenken bezgl. der Glaubwürdigkeit bestehen, konnte von einer persönlichen Vernehmung abgesehen werden.

Aus vorgenannten Erkenntnisquellen ergibt sich, dass die Klägerin zwar infolge des Unfalles psychische Beeinträchtigungen erlitten hat, so dass es der Einholung des angebotenen Sachverständigengutachtens hierzu nicht bedurfte. Nicht ursächlich auf den Unfall zurückzuführen sind jedoch alle bereits vorher vorhandenen psychischen Beeinträchtigungen und Auffälligkeiten. So bekundete die Zeugin Dr. K., dass die Klägerin bereits vor dem erlittenen Unfall gestottert hat; auch die „Essstörungen” und die „Appetitlosigkeit” sowie die „Schlafstörungen” bestanden bereits vor dem Unfall. Dem steht der Bericht der Frau Dr. M. nicht entgegen, da diese keine eigenen Feststellungen zu dem Zustand der Klägerin vor dem Unfall traf, sondern ihre Kenntnisse aus Angaben der Kindesmutter bezog. Für den Bericht der Frau Dr. R. gilt nichts anderes, da dieser auf der durchgeführten Psychotherapie und damit den Erkenntnissen der Fr. Dr. M. aufbaut.

Die Feststellung der Zeugin Dr. K., wonach die Klägerin Ende Juli „deutlich verhaltensgestört” war, stark stotterte und Angst hatte, bezieht sich auf eine kurz zuvor erneut erlittene Verletzung am Ohr. Obschon nicht ausgeschlossen werden kann, dass dieses erneute Ereignis allein zur Aufrechterhaltung psychischer Auffälligkeiten geführt hat, geht der Senat zu Gunsten der Klägerin davon aus, dass das streitgegenständliche Unfallereignis an den Angeststörungen zumindest mitursächlich war.

Aus den vorliegenden Unterlagen ergibt sich jedoc...

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