Leitsatz (amtlich)

1. Die Überweisung des Patienten zur Durchführung einer Kniegelenksarthroskopie unter Stellung der Verdachtsdiagnose Chondropathia patellae ist indikationsfehlerfrei, wenn aus der Warte des überweisenden Behandlers die vom Patienten beklagten Schmerzen als seit mehreren Jahren rezidivierend und therapieresistent beschrieben sind und die im Vordergrund stehende klinische Untersuchung des Kniegelenks erhebliche Schmerzen ergeben hat.

2. Die unterbliebene Absicherung der Verdachtsdiagnose Chondropathia patellae durch Fertigung einer axialen Röntgenaufnahme der Patella kann zwar ein Befunderhebungsfehler sein. An einem sich kausal auswirkenden Befunderhebungsfehler fehlt es indes, wenn angesichts des später intraoperativ gewonnenen Befundes (hier einer Knorpelschädigung IV. Grades) nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass die Röntgenaufnahme Erkenntnisse zutage befördert hätte, die von einer Arthroskopie hätten Abstand nehmen lassen.

3. Es fehlt an einem vom Patienten auf den Einwand der hypothetischen Einwilligung hin glaubhaft zu machenden plausiblen Entscheidungskonflikt, wenn die Anhörung des Patienten ergibt, dass er im Zeitpunkt der Anempfehlung einer Kniegelenksarthroskopie - nach einem mehrjährigen, rezidivierend schmerzhaften Knieleiden - wegen der Persistenz der Beschwerden "ein bisschen verzweifelt" war, und er sich gegenüber vorbehandelnden Ärzten auf deren Vorschlag einer (fortgesetzt) konservativen Therapie ablehnend und skeptisch gezeigt hatte.

 

Verfahrensgang

LG Stendal (Urteil vom 08.06.2016; Aktenzeichen 21 O 172/14)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 8. Juni 2016 verkündete Urteil der Zivilkammer 1 des Landgerichts Stendal wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das angefochtene Urteil und dieses Berufungsurteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des aufgrund der Urteile zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten zuvor Sicherheit in dieser Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz aus behaupteter fehlerhafter ärztlicher Behandlung im Zusammenhang mit einer im Jahr 2011 durchgeführten Arthroskopie des rechten Knies in Anspruch. Gestützt auf die Behauptung, auf der Grundlage unzureichender Aufklärung und ohne ausreichende Indikation von der Beklagten zu 2) zur Arthroskopie überwiesen und von dem Beklagten zu 4) chirurgisch behandelt worden zu sein, verlangt er Schmerzensgeld, das er in Höhe von 30.000,00 EUR für angemessen hält, begehrt die Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz weiterer immaterieller und materieller Schäden sowie den Ausgleich vorprozessualer Rechtsverfolgungskosten.

Der Kläger litt seit dem Jahr 2006 unter Kniebeschwerden, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob diese Beschwerden zunächst nur das linke Knie betrafen oder frühzeitig beidseitig auftraten.

Am 1. August 2011 suchte der Kläger die von der Beklagten zu 1) betriebene Praxis auf, wo er durch die Beklagte zu 2) behandelt wurde. Die Beklagte zu 2) stellte auf der Grundlage einer in zwei Ebenen hergestellten Röntgenaufnahme des rechten Kniegelenks die Diagnose einer Chondropathia patellae und erteilte dem Kläger den Rat, eine Arthroskopie durchführen zu lassen. Zu diesem Zwecke überwies sie den Kläger in das von der Beklagten zu 3) geführte Klinikum.

Am 15. September 2011 suchte der Kläger das Klinikum auf, wo die Behandlung durch den Beklagten zu 4) übernommen wurde. Der Beklagte zu 4) riet ebenfalls zur Durchführung der Arthroskopie, nachdem er die Röntgenaufnahmen gesichtet und eine Anamnese erhoben hatte. Er führte eine Aufklärung durch, die in einem Aufklärungsbogen in der von den Beklagten zu 3) und zu 4) vorgelegten Krankenakte der Beklagten zu 3) dokumentiert ist.

Am 10. Oktober 2011 ließ sich der Kläger im Klinikum der Beklagten zu 3) stationär aufnehmen. Am selben Tage führte der Beklagte zu 4) die geplante Arthroskopie durch. Im Rahmen der Arthroskopie nahm der Beklagte zu 4) eine transarthroskopische Hoffateilresektion und Synovektomie sowie ein offenes laterales Patellarelease mit lateralem Anbohren der Patella vor, legte eine Redondrainage und brachte eine intraartikuläre Naropinapplikation an. Unmittelbar postoperativ wies das Knie eine Schwellung auf, die auf ein Hämatom zurückzuführen war, das mit einer sterilen Punktion behandelt wurde.

Der Kläger hat den Beklagten vorgeworfen, die Indikation auf Grundlage unzureichend erhobener Befunde gestellt zu haben. So sei die radiologische Diagnostik insbesondere deshalb unzureichend gewesen, weil keine so genannte Patella Defilee-Aufnahme angefertigt worden sei. Im Ergebnis sei der Eingriff auch nicht indiziert gewesen, weil keine Arthrose des rechten Knies vorgelegen habe, die nicht der konservativen Behandlung zugänglich gewesen wäre. Darüber hinaus sei der Kläger unzureichend aufgeklärt worden....

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