Leitsatz (amtlich)
Putenmastanlage I
1. Zur Amtshaftung einer Gemeinde für die rechtswidrige Versagung des gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 BauGB im immissionsschutzrechtlichen Verfahren zur Genehmigung der Errichtung und des Betriebs einer Putenmastanlage im unbeplanten städtebaulichen Außenbereich.
2. Stehen einem Bauvorhaben objektive, zum Zeitpunkt des Einvernehmensersuchens der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbehörde bereits bestehende bauplanungsrechtliche Einwendungen nicht entgegen, so ist das gemeindliche Einvernehmen zu erteilen. Bauplanerische Einwendungen setzen grundsätzlich zumindest ansatzweise entgegen stehende positive städtebauliche Vorstellungen voraus.
3. Die pauschale Ablehnung der Massentierhaltung kann nicht mit den Mitteln des Baurechts bewirkt werden.
4. Maßgeblich ist, welche Gründe die Gemeinde zu ihrer Versagung des Einvernehmens bewogen haben, nicht dagegen später nachgeschobene Gründe zur Rechtfertigung dieser Entscheidung.
Verfahrensgang
LG Stendal (Urteil vom 04.01.2006; Aktenzeichen 21 O 367/04) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 4.1.2006 verkündete Grundurteil der Zivilkammer 1 des LG Stendal wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden bzw. des tatsächlich vollstreckten Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die beklagte Gemeinde auf Zahlung von Schadenersatz wegen der rechtswidrigen Versagung des gemeindlichen Einvernehmens mit zwei Bauvorhaben in Anspruch und hat insoweit als Teilklage entgangenen Gewinn i.H.v. jeweils 100.000 EUR pro Bauvorhaben geltend gemacht.
Sie beabsichtigte, in der Gemarkung der Beklagten, dort im städtebaurechtlichen Außenbereich, zwei Putenmastanlagen mit je vier Stallgebäuden für insgesamt je 40.000 Puten zu errichten (Anlage I in der Gemarkung R., Flur 7, Flurstück 8/1; Anlage II in der Gemarkung R., Flur 8, Flurstück 94/21). Die Entfernung zwischen dem Immissionsschwerpunkt beider beabsichtigter Anlagen und der nächstgelegenen Wohnbebauung der Ortslage R. betrug ca. 580m. Hierzu hatte sie am 30.12.1998 die Erteilung einer Genehmigung nach § 4 BImSchG (künftig: immissionsschutzrechtliche Genehmigung) beim damals zuständigen Regierungspräsidium Magdeburg beantragt. Das Regierungspräsidium Magdeburg ersuchte die Beklagte um die Erklärung ihres gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 Abs. 1 Satz 2 BauGB für beide Bauvorhaben. Die Beklagte verweigerte dieses für die Anlage I am 14.4.1999 und für die Anlage II am 12.7.1999. In einer ergänzenden Stellungnahme ggü. der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbehörde vom 23.9.1999 bekräftigte sie ihre Verweigerung. Darin heißt es u.a.:
"... teilen wir Ihnen mit, dass die Gemeinde R. nach erneuter Beschlussfassung durch den Gemeinderat am 21.9.1999 bei der Versagung des gemeindlichen Einvernehmens zum Bau und zur Betreibung einer Putenmastanlage in R. bleibt.
Es wurde versucht, in einer Einwohnerversammlung am 15.9.1999 ... die Konsequenzen für die Gemeinde aufzuzeigen, die eine unrechtmäßige oder falsche Versagung zur Folge hätte. Bisher gab es nach BauGB keine objektiven Gründe seitens der Gemeinde, die diese Versagung rechtfertigen würde.
In einer nachfolgenden öffentlichen Gemeinderatssitzung am 21.9.1999 wurde dann die o.g. Beschlussfassung des Gemeinderats durchgeführt. Nachdem drei Bürger besonders der Bürgermeisterin vorgeworfen haben, sie würde mit dem Hinweis auf eventuelle finanzielle Belastungen und Schadenersatzforderungen für die Gemeinde ... die Bürger erpressen, verängstigen und manipulieren wollen zugunsten der Antragstellerin ..., stimmte der Gemeinderat ... gegen den Bau der o.g. Anlage.
... Wir bitten Sie, diese erneute Versagung des gemeindlichen Einvernehmens als letzte und endgültige Entscheidung der Gemeinde in diesem Genehmigungsverfahren zu werten ...."
Die Kommunalaufsicht des Landkreises A. ersetzte das gemeindliche Einvernehmen für beide Bauvorhaben. Hiergegen ging die Beklagte im Wege des Widerspruchs und sodann durch Anfechtungsklage vor dem VG Magdeburg und dem OVG vor. Letztlich wurden beide Ersetzungsbescheide bestätigt. In den Urteilen des VG Magdeburg vom 25.2.2003 (Gesch. Nr.: 4 A 387/00 und Gesch. Nr.: 4 A 386/00 MD) wurde rechtskräftig festgestellt, dass beiden Bauvorhaben keine städtebaurechtlichen oder bauordnungsrechtlichen Vorschriften entgegen stehen.
Am 18.9.1999 fand eine öffentliche Erörterung der Bauvorhaben nach §§ 9, 14 BImSchG statt. Die Beklagte hat behauptet, sie hätte bereits in dieser Erörterung 29 Einwendungen gegen eine immissionsschutzrechtliche Zulässigkeit der beiden Bauvorhaben vorgebracht; einen Beweis hierfür hat sie nicht angetreten. Das Regierungspräsidium Magdeburg erteilte die immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen für die Anlage I am 10.3.2000 und ...