Leitsatz (amtlich)
1. Wird eine Gemeinde i.S.v. § 36 BauGB am Baugenehmigungsverfahren beteiligt, so hat sie ihr Einvernehmen mit dem Bauvorhaben zu erteilen, wenn sie innerhalb der Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB einen Versagungsgrund nicht feststellen kann.
2. Zum Verschuldensmaßstab und zur Feststellung des Verschuldens von Gemeinderats-mitgliedern (hier: bei rechtswidriger Versagung des gemeindlichen Einvernehmens mit der Errichtung von Putenmastanlagen im unbeplanten Außenbereich).
Verfahrensgang
LG Stendal (Urteil vom 02.04.2008; Aktenzeichen 21 O 53/06) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 2.4.2008 verkündete Urteil des LG Stendal, 21 O 53/06, wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Hauptforderung lediglich i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.4.2006 zu verzinsen ist.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des vollstreckbaren bzw. des tatsächlich vollstreckten Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.
Die Revision wird nicht zugelassen. Die Beschwer der Beklagten übersteigt 20.000 EUR.
und beschlossen:
Der Kostenwert für das Berufungsverfahren wird auf 531.820 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt von der beklagten Gemeinde Schadenersatz aus Amtshaftung wegen der Versagung des gemeindlichen Einvernehmens für die im Jahre 1997 beantragten Genehmigungen der Errichtung von drei Putenmastanlagen auf dem Gemeindegebiet. Die Klage ist als Teilklage beschränkt auf behauptete Erwerbsausfälle im Zeitraum vom 1.1.1998 bis zum 31.12.2004.
Die Klägerin beabsichtigte seit Mitte der 90er Jahre die Errichtung und das Betreiben von Putenmastanlagen auf dem Gemeindegebiet der Beklagten. Es sollten reine Hahnmastanlagen zu je vier Ställen im sog. "Louisiana"-Stil (halboffene Bauweise mit der Möglichkeit der Öffnung aller vier Seitenwände) errichtet werden. Die Standorte hierfür lagen im bauplanungsrechtlichen Außenbereich, für den zumindest bis Ende 1997 kein Flächennutzungsplan aufgestellt war. Nachdem die Klägerin ihre ursprünglichen Planungen von 1995 nicht weiter verfolgt hatte, reichte sie im März 1997 drei neue Anträge auf Erteilung von Baugenehmigungen für jeweils eine Putenmastanlage mit jeweils 19.200 Tierplätzen auf den in der Gemarkung R., Flur 6, Flurstück 498/218, und Flur 7, Flurstücke 91/2, 133 und 220/131, belegenen Grundstücken beim zuständigen Landkreis St. ein.
Der Landkreis holte im Genehmigungsverfahren u.a. die Stellungnahmen der Unteren Naturschutz-, Wasser- und Immissionsschutzbehörden ein, die übereinstimmend die Unbedenklichkeit der beantragten Anlagen aus ihrer jeweiligen fachlichen Sicht bestätigten.
Der Landkreis ersuchte die Beklagte um die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens. Der Gemeinderat hatte sich bereits in seiner Sitzung vom 28.1.1997 mit den beabsichtigten Bauvorhaben beschäftigt. Nachdem ein Vertreter des Bauamtes den Gemeindevertretern das Prüfungsprogramm der §§ 36 i.V.m. 35 BauGB erläutert und insbesondere darauf hingewiesen hatte, dass zu prüfen sei, ob bauplanerische Vorhaben der Gemeinde den Bauvorhaben der Klägerin entgegen stünden, wurde in der anschließenden Diskussion der Gemeinderäte lt. Protokoll "herausgearbeitet", dass jedenfalls keine solche Bebauung im Außenbereich gewollt sei. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Gemeinderatsprotokolls vom 29.1.1997 (Anlage E 1, GA Bd. I Bl. 211 f.), dort zu TOP Ziff. 2, Bezug genommen. In seiner Sitzung vom 29.5.1997 befasste sich der Gemeinderat mit der Aufforderung des Landkreises zur Entschließung über die Erteilung oder Versagung des gemeindlichen Einvernehmens. Den Beratungen ging eine Belehrung darüber voraus, dass die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens eine gebundene, keine Ermessensentscheidung sei, und dass die Versagung nur zulässig sei, wenn die Bauvorhaben bauplanungsrechtlich unzulässig seien. Der Gemeinderat beschloss - lt. Protokoll "nach eingehender Beratung" -, sein gemeindliches Einvernehmen zu allen drei Bauvorhaben zu versagen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Gemeinderatsprotokolls vom 3.6.1997 (Anlage E 2, GA Bd. I Bl. 213 f.), dort zu TOP 4, verwiesen. Gemäß dieser Entschließung versagte die Beklagte mit Schreiben vom 2.6.1997 an den Landkreis ihr gemeindliches Einvernehmen. Zur Begründung führte die Beklagte darin u.a. an, dass sie negative Auswirkungen auf den Fremdenverkehr in der Region, insbesondere eine Störung des Landschaftsbildes und auch eine Zersiedelung des Territoriums besorge. Die beabsichtigte Schaffung von Arbeitsplätzen bleibe hinter den eigenen Erwartungen zurück. Durch die aufkommenden Futtermittel- und Tiertransporte werde zudem eine Überlastung der gemeindlichen Straßen eintreten. Schließlich gebe es Bürgerproteste gegen das Gesamtprojekt.
Der Landkreis berief am 27.6.1997 eine Besprechu...