Leitsatz (amtlich)

Es kommt auch beim einfachen Befunderhebungsfehler zur Beweislastumkehr hinsichtlich der Kausalität, wenn sich bei der gebotenen Abklärung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflichtiges Ereignis gezeigt hätte und sich die Verkennung dieses Befundes als fundamental oder die Nichtreaktion darauf als grob fehlerhaft darstellen würde (hier angenommen für den Fall, dass sich bei der Erhebung der erforderlichen Befunde ein embolischer arterieller Verschluss am Unterschenkel ergeben hätte).

 

Verfahrensgang

LG Magdeburg (Urteil vom 21.12.2011; Aktenzeichen 9 O 2204/09)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 21.12.2011 verkündete Urteil des LG Magdeburg (9 O 2204/09) abgeändert:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 50.000,- Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.12.2009 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche materiellen und künftigen immateriellen Schäden zu ersetzten, die aus dem verspäteten Behandlungsgeschehen vom 4.12./5.12.2006 entstanden sind bzw. noch entstehen werden.

Die Beklagten tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

und beschlossen:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 60.000,- Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin wurde bei der Beklagten zu 1) am 20.11.2006 wegen einer Tibeakopfmehrfragmentfraktur operativ versorgt. Nach der Operation erhielt sie ein Mittel zur Thromboseprophylaxe. Am 1.12.2006 wurde die Klägerin wegen einer Dickdarmentzündung in der Klinik für Innere Medizin behandelt. Ausweislich der Pflegedokumentation wurde ihr jedenfalls am 2. und 3.12.2006 das Mittel zur Thromboseprophylaxe nicht verabreicht. Am 4.12.2006 klagte die Klägerin über Schmerzen im Knie, ihr wird ein Schmerzmittel gegeben. Für 16.30 Uhr ist in der Pflegedokumentation festgehalten, dass der rechte Fuß kalt ist, die Zehen etwas bläulich verfärbt sind, dass die Patientin Wärme am Fuß spürt und keine Empfindungsstörungen zu haben scheint. Der Arzt vom Dienst (AvD) ordnet die Anlage eines Watteschutzverbandes am rechten Fuß an. Dies wird beibehalten bis zum Vormittag des 5.12.2006. Sodann wird eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt, die spätestens um 12.00 Uhr beendet war. Es wird eine deutliche Durchblutungsstörung mit dem Verdacht eines arteriellen Gefäßverschlusses unterhalb des Kniegelenks festgestellt. Die Gefäßdarstellung zwischen 14.30 Uhr und 15.30 Uhr zeigt einen embolischen arteriellen Verschluss am Unterschenkel rechts. Um 18.00 Uhr erfolgt die Verlegung der Klägerin in die Klinik für Gefäßchirurgie, wo gegen 18.15 Uhr die Indikation zur Sofortoperation gestellt wird. Bei der Notfalloperation ab 19.45 Uhr werden mehrere Blutgerinnsel aus Ober- und Unterschenkel entfernt. Die Behandlung mit Heparin wird fortgesetzt. Was in der Zeit bis zum 14.12.2006 erfolgte, ist zwischen den Parteien insoweit streitig, ob die Klägerin am Bett und im Krankenzimmer mobilisiert werden konnte. Nach der Krankendokumentation der Beklagten zu 1) hatte die Klägerin in der Zeit 7.12. und 13.12.2006 physiotherapeutische Anwendungen. Am 14.12.2006 ergab sich der Verdacht eines erneuten Gefäßverschlusses, der zur Durchführung einer Notfalloperation führte. In der Folge wurden bis zum 17.12.2006 in schneller Folge insgesamt 6 Operationen durchgeführt. Am 17.12.2006 musste bei akuter Lebensgefahr der rechte Oberschenkel amputiert werden.

Die Klägerin rügt, dass ihr am 2. und 3.12.2006 fehlerhaft das Mittel zur Thromboseprophylaxe nicht verabreicht worden sei und dies im Zusammenhang damit, dass der Gefäßverschluss vom 4.12.2006 erst am 5.12.2006 festgestellt und deshalb verspätet operativ versorgt worden sei (obgleich bereits am 4.12.2006 Anlass zu weiteren Befunderhebungen bestanden habe). Dies habe den Geschehensablauf in Gang gesetzt, der letztlich zur Amputation des rechten Oberschenkels geführt habe.

Die Beklagten sind der Klage entgegengetreten. Sie behaupten vor allem, dass es zwischen den von der Klägerin gerügten Fehlern (selbst wenn man diese zu ihren Gunsten unterstellte) und der Amputation keinen Kausalzusammenhang gebe. Die Ischämiefreiheit zwischen dem 5. und dem 14.12.2006 belege eine komplette Sanierung durch den Eingriff vom 5.12.2006, so dass es sich bei dem Geschehen ab dem 14.12.2006 um einen neuen Geschehensablauf handele.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vortrages und der in erster Instanz gestellten Anträge wird Bezug genommen auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil.

Das LG hat ein schriftliches Sachverständigengutachten eingeholt (Dipl. med. D. - Bl. 11 ff. II), das der Sachverständige ...

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