Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Eintragung im Operationsbericht "auf die Durchblutung des rechten Beins achten", bei dokumentierten Ulzera im Fersenbereich, seitlichem Fußbereich, Schienbeinvorderkante und im Bereich der Achillessehne und subjektiven Hinweisen des Patienten auf Schmerzen im Zehen- und Fußbereich sind bloße kurze optisch, taktile Untersuchungen anlässlich der Visite unzureichend. Das Unterlassen weiterer Untersuchungen (CW-Dopplersonographie, farbcodierter Duplexsonographie) ist grob fehlerhaft.

2. Wird beim Patienten ein sehr hohes Dekubitusrisiko festgestellt (Wert von 40 nach der Klassifizierung nach Waterlo) muss dies ein individuelles Lagerungskonzept veranlassen. Dessen Fehlen und der erst am 11. postoperativen Tag erfolgte Einsatz einer Wechseldruckmatratze stellen einen groben Behandlungsfehler dar.

 

Verfahrensgang

LG Stendal (Urteil vom 02.11.2012; Aktenzeichen 21 O 164/10)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerinnen gegen das am 2.11.2012 verkündete Urteil des LG Stendal (21 O 164/10) wird zurückgewiesen.

Die Anschlussberufung der Beklagten gegen das am 2.11.2012 verkündete Urteil des LG Stendal (21 O 164/10) wird zurückgewiesen.

Die Beklagten tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vollstreckbar. Die Klägerinnen können die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten. Die Beklagten können die Vollstreckung der Klägerinnen durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerinnen vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

und beschlossen:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf die Gebührenstufe bis 80.000,-Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerinnen sind die Krankenversicherung bzw. die Pflegeversicherung von H. W. (geb. 5.5.1923; i.F. Versicherter). Sie machen gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche aus übergegangenem Recht geltend. Der Versicherte litt an Hypertonie. Bei einem stationären Krankenhausaufenthalt wurde im Juni 2006 eine Hüftarthrose diagnostiziert (rechts größer als links) sowie der Verdacht auf eine Osteopenie geäußert. Am 14.11.2006 stellte sich der Versicherte bei der Beklagten zu 1) vor zur Implantation eines künstlichen Hüftgelenks. Da bei der Untersuchung der hohe Blutdruck auffiel, erfolgte zunächst dessen Einstellung. Der Versicherte wurde wieder nach Hause entlassen. Nach erneuter stationärer Aufnahme am 22.11.2006 erfolgte die Operation am 23.11.2006. Während des Eingriffs kam es zum Absacken des Knochenzements in den Schaft bis kurz vor die Kniegelenksregion. Der Zement wurde ausgetauscht, bevor die Prothese eingesetzt wurde. Durch diese Komplikation verlängerte sich die Operationsdauer. Beim Versicherten trat unstreitig das sog. Durchgangssyndrom (auch postoperatives Delir) auf. Der Versicherte verblieb zunächst bis zum 11.12.2006 auf der Intensivstation. Er klagte über starke Schmerzen im Sprunggelenk und im rechten Bein. Wegen erheblicher innerer Unruhe wurde der Versicherte teilweise an den Händen fixiert. In der Folgezeit bildete sich an mehreren Stellen des rechten Beins ein Dekubitus aus. Dies wurde bei der Beklagten mehrfach auch dokumentiert, am 4.12.2006 auch eine deutliche Nekrose an der rechten Ferse. Am 5.1.2007 begann der Versicherte mit einer Reha-Maßnahme, wobei in dem gestellten Antrag der Dekubitus nicht erwähnt wird. Am 18.1.2007 wurde der Versicherte bei der Beklagten zu 1) wegen ausgeprägter Dekubitusgeschwüre erneut aufgenommen. Am 1.2.2007 erfolgte seine Entlassung nach Hause, wobei er auf Pflegeleistungen von Familienangehörigen und eines Pflegedienstes angewiesen war. Seitens der Beklagten zu 1) wurde im Entlassungsbericht die Lagerung auf einer Antidekubitusmatratze sowie ein täglicher Verbandswechsel empfohlen. Am 8.3.2007 wurde der Versicherte wegen einer verschlechterten Weichteilsituation am rechten Bein in einem Krankenhaus in R. aufgenommen, wo am 9.3.2007 die Amputation des rechten Beines durchgeführt wurde (bei Diagnose periphere arterielle Verschlusskrankheit Stadium IV nach Fontaine).

Die Kläger sind der Ansicht, dass die Operation vom 23.11.2006 nicht indiziert gewesen sei, wobei wegen der Osteoporose ein naheliegendes Operationsrisiko verkannt worden sei. Die Aufklärung am 22.11.2006 sei mangelhaft gewesen. Insbesondere hätte der Versicherte über das Risiko des Durchgangsyndroms aufgeklärt werden müssen. Der Eintritt des Durchgangssyndroms sei beim Versicherten (hohes Alter/Hypertonie/lange Operationsdauer) ein naheliegendes Risiko gewesen. Die Operation selbst sei fehlerhaft durchgeführt und auch mangelhaft (weil widersprüchlich) dokumentiert worden. Auch die postoperative Versorgung des Versicherten sei unzureichend gewesen. Zum einen sei die Verschlusserkrankung im rechten Bein nicht e...

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