Leitsatz (amtlich)
1. Vor der operativen Behandlung eines Hirntumors muss der Patient für seine wirksame Einwilligung nicht auf die Strahlentherapie als Behandlungsalternative aufmerksam gemacht werden.
2. Ob es sich bei der Strahlentherapie um eine vom Neurochirurgen zu erwähnende aufklärungsrelevante Behandlungsalternative handelt, ist mit Hilfe eines neurochirurgischen Sachverständigen und nicht durch ein strahlentherapeutisches Gutachten zu klären.
3. Ist in einer vom Patienten unterzeichneten Wahlleistungsvereinbarung keines der für die einzelnen Wahlleistungen vorgesehenen Felder angekreuzt, lässt sich auch bei einem Privatpatienten anhand dessen nicht feststellen, dass ausgerechnet die Chefarztbehandlung zugesagt war. Die Abrechnung des Chefarztes kann ein Indiz für die vereinbarte Chefarztbehandlung sein.
Verfahrensgang
LG Halle (Saale) (Urteil vom 23.03.2018; Aktenzeichen 6 O 31/17) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 23. März 2018 verkündete Urteil des Einzelrichters der 6. Zivilkammer des Landgerichts Halle wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund der Urteile zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.000.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schmerzensgeld in Anspruch und begehrt die Feststellung der Pflicht zum Ersatz weiterer Schäden. Dieses Begehren stützt er auf das Vorbringen, im April 2014 bei einer durch den Beklagten zu 5) durchgeführten Operation eines Hirntumors im Hause der Beklagten zu 1) fehlerhaft behandelt und durch die Beklagten zu 3) und 4) unzureichend aufgeklärt worden zu sein. Zusätzlich stützt er sein Begehren auf die Ansicht, dass die Operation bereits deswegen rechtswidrig gewesen sei, weil sie entgegen einer auf die Behandlung durch den Beklagten zu 2) als Chefarzt gerichteten Wahlleistungsvereinbarung durch den Beklagten zu 5) ausgeführt wurde.
Hinsichtlich der Einzelheiten und die erstinstanzlichen Anträge wird auf die tatsächlichen Feststellungen der angefochtenen Entscheidung verwiesen.
Das Landgericht, der Einzelrichter, hat, sachverständig beraten (vgl. das auf Grundlage des Beweisbeschlusses vom 4. April 2017 [Bl. 53 GA I] eingeholte Gutachten des Sachverständigen Dr. med. W. B. vom 11. September 2017 und die mündlichen Erläuterungen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vom 21. Februar 2018 [Bl. 143 ff. GA I]), die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass dem Kläger ein Schadensersatzanspruch nicht schon deshalb zustehe, weil die unstreitig vom Kläger erteilte Einwilligung mangels vollständiger und zutreffender Aufklärung unwirksam gewesen wäre und zur Rechtswidrigkeit des operativen Eingriffs geführt hätte. Bei der Aufklärung sei auch auf Alternativen zur beabsichtigten Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können. Die Wahl der Behandlungsmethode sei primär Sache des behandelnden Arztes. Die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten erfordere jedoch eine Unterrichtung über eine alternative Behandlungsmöglichkeit, wenn eine solche zur Verfügung stehe. Je weniger dringlich sich ein Eingriff darstelle, desto weitgehender seien das Maß und der Genauigkeitsgrad der Aufklärungspflicht. Der Patient, der eine Verletzung der nur ausnahmsweise bestehenden Pflicht zur Aufklärung über Behandlungsalternativen behaupte, habe darzulegen, über welche alternativen Behandlungsmethoden eine Aufklärung erforderlich gewesen sein solle.
Unter Anwendung dieser Grundsätze sei die Aufklärung des Klägers im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden. Er sei darüber informiert worden, dass neben der relativ indizierten Operation ein Abwarten und weiteres Beobachten des Tumors in Betracht kamen. Nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen stelle die Strahlentherapie keine alternative Behandlungsmethode dar, die gleichermaßen indiziert gewesen wäre. Der Sachverständige habe erläutert, dass die Strahlentherapie eine vorangegangene Biopsie voraussetze, die vom Aufwand her ähnlich sei wie bei einer Operation, im Ergebnis aber oft wenig aussagekräftig. Die von der Klägerseite angesprochene Gamma-Knife-Behandlung werde nur in wenigen hochspezialisierten Zentren angeboten. Danach stelle sich die Strahlentherapie nicht als echte Alternative dar.
Es sei auch nicht als fehlerhaft anzusehen, dass die Beklagten zu 3) und zu 4) im Rahmen der Aufklärungsgespräche dem Kläger nicht nahegelegt hätten, mit der Operation zunächst zu warten. Darüber, dass das Ab...