Leitsatz (amtlich)
1. Das Aufrechnungsverbot in § 12 AVB/KK kommt nicht zum Zuge, wenn der Streit der Parteien nicht die zur Aufrechnung gestellten Arzt- und Rezeptkosten, sondern lediglich den Fortbestand des Krankenkostenversicherungsvertrages betrifft.
2. Erfolgt der Versichererwechsel durch die Abwerbung eines Versicherungsvermittlers des neuen Versicherers kann gegen eine Arglist des Versicherungsnehmers dessen fehlendes Motiv bei der unzutreffenden Beantwortung der Gesundheitsfragen sprechen.
3. Für ein Ruhen der Leistung ist gemäß § 193 Abs. 6 Satz 4 VVG a.F. u.a. vonnöten, darauf hinzuweisen, dass ein Ruhen der Leistung erst drei Tage nach Zugang der Mitteilung beim Versicherungsnehmer eintritt.
Verfahrensgang
LG Magdeburg (Urteil vom 22.11.2013; Aktenzeichen 11 O 1142/13) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des LG Magdeburg vom 22.11.2013, Az.: 11 O 1142/13 LG Magdeburg, abgeändert und die Klage abgewiesen.
2. Auf die Widerklage des Beklagten wird festgestellt, dass der streitgegenständliche Krankenversicherungsvertrag mit der Vertragsnummer ... weder durch die mit Schreiben vom 21.2.2013 erklärte Anfechtung der Klägerin noch den dort hilfsweise erklärten Rücktritt beendet worden ist und bislang auch, entgegen dem Schreiben der Klägerin vom 16.3.2009, kein Ruhen der Leistungen in der Krankheitskosten-Vollversicherung eingetreten ist, sondern die abgeschlossene Krankheitskosten-Vollversicherung uneingeschränkt fortbesteht.
3. Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Klägerin, eine private Krankenversicherung, begehrt von dem bei ihr seit Anfang 2009 versicherten Beklagten die Zahlung rückständiger Versicherungsbeiträge nebst einem Säumniszuschlag von 1 % für jeden angefangenen Monat für die Zeit von Dezember 2009 bis November 2012 in Höhe von insgesamt 5.645,57 EUR nebst außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten, gegen welche Forderung der Beklagte in erster Instanz hilfsweise aufgerechnet hat und in zweiter Instanz primär die Aufrechnung erklärt mit drei kontrovers beurteilten Kostenerstattungsforderungen.
Der Beklagte beantragte bei der Klägerin am 05.12.2008 im unmittelbaren Anschluss an eine Vorversicherung bei der D. -Versicherung den Abschluss einer privaten Krankenversicherung und Pflegepflichtversicherung zum 01.1.2009.
Die Fragen im Antragsformular und die dort vom Beklagten durch Ankreuzen und zwei handschriftliche Ergänzungen gemachten "Angaben zum Gesundheitszustand" (Bl. 58 Bd. I d.A.) stellen sich wie folgt dar:
6. Angaben zum Gesundheitszustand
...
6.1...
6.2...
6.3 Bestehen zurzeit Beschwerden, Krankheiten oder dauerhafte Gesundheitsstörungen? nein ja
6.4...
6.5 Erfolgte in den letzten fünf Jahren eine ambulante oder stationäre Untersuchung? nein ja
...
Wenn ja, bitte Fragen 6.5.1 und 6.5.2 beantworten
6.5.1 Fanden in den letzen fünf Jahren stationäre Aufenthalte, stationäre Kuren oder nein ja
Sanatoriumsaufenthalte statt?
6.5.2 ...
6.6 Haben in den letzten fünf Jahren Beschwerden, Krankheiten, Krankheits- oder Unfallfolgen
bestanden (auch wenn sie nicht behandelt wurden)? nein ja
...
6.13...
Bitte machen Sie bei den mit "ja" beantworteten Fragen hier nähere Angaben.
Art der Krankheit/Diagnose, Untersuchung,
Verletzung, Beschwerde,...
zu
Frage
65. ROUTINEUNTERSUCHUNG - OHNE BEFUND [handschriftliche Angabe]
6.14 Welcher Arzt ist über die gesundheitlichen Verhältnisse Name und Anschrift
am besten unterrichtet (evtl. Hausarzt)? DR. H. W. [handschriftliche Angabe]
Dem durch Annahme der Klägerin zustande gekommenen Krankenversicherungsvertrag liegen die Allgemeine(n) Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (AVB/KK) zugrunde (Bl. 62 - 68 Bd. II d.A.), die zur Aufrechnung folgende Regelung enthalten:
§ 12 Aufrechnung
Der Versicherungsnehmer kann gegen Forderungen des Versicherers nur aufrechnen, soweit die Gegenforderung unbestritten oder rechtskräftig festgestellt ist.
Mit Schreiben vom 21.2.2013 (Bl. 43 Bd. I d.A.) hat die Klägerin die Anfechtung des Krankenversicherungsvertrages gemäß § 22 VVG in Verb. mit § 123 BGB sowie hilfsweise gemäß den §§ 19 ff. VVG den Rücktritt erklärt. Zur Begründung gab sie an, dass anlässlich der Überprüfung eingereichter Arztrechnungen festgestellt worden sei, dass der Beklagte im Aufnahmeantrag vom 05.12.2008 nicht über die Diagnosen Angina pectoris, Hyperlipoproteinämie, Imgingement-Syndrom [recte: Impingement] Schulter und Stress informiert habe, derentwegen er in der Zeit bis zur Antragstellung ärztlich untersucht oder behandelt worden sei.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten und meint weiterhin, sie habe mit jenem Schreiben das Versicherungsverhältnis wirksam wegen arglistiger Täuschung angefochten bzw. hilfsweise den Rücktritt erklärt, weil der Beklagte die Fragen zu Ziffer 6.5 und 6.6 im Antragsformular vom 05.12.2008 wider besseres Wissen falsch beantwortet habe. Er hätte sie über die diagnostizierten Krankheiten, derentw...