Leitsatz (amtlich)
Schmerzensgeld i.H.v. 50.000 EUR bei einer mangels wirksamer Einwilligung des Patienten (unzureichende Risikoaufklärung) rechtswidrigen Implantation einer Morphinpumpe, die wegen einer Blutung in den Hirnwasserraum der Wirbelsäule zu dauerhaften Funktionsstörungen (Harninkontinenz, Impotenz, schwere Gangstörung) geführt hat.
Verfahrensgang
LG Magdeburg (Urteil vom 18.04.2007; Aktenzeichen 9 O 361/05) |
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das am 18.4.2007 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des LG Magdeburg, 9 O 361/05, wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden bzw. des tatsächlich vollstreckten Betrages abwenden, wenn nicht zuvor der Kläger Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.
Die Revision wird nicht zugelassen. Die Beschwer des Beklagten übersteigt 20.000 EUR.
und beschlossen:
Der Kostenwert des Berufungsverfahrens beträgt 50.000 EUR.
Gründe
I. Der Kläger begehrt vom Beklagten Schmerzensgeld für die nachteiligen Folgen einer neurochirurgischen Operation.
Der am 10.9.1955 geborene Kläger ist verheiratet und hat drei Kinder. Bis zu einem Arbeitsunfall im Jahre 1997 hatte er zuletzt als Trockenbau-Monteur gearbeitet. Seit dem Unfall litt er an einem chronischen, schwer zu beeinflussenden Schmerzsyndrom, war arbeitsunfähig und zog sich zunehmend aus dem sozialen Leben zurück. Wegen des Versagens konservativer Schmerztherapien empfahl der Beklagte dem Kläger die Implantation einer Morphinpumpe. Die Kammer hat durch ihr rechtskräftiges Grund- und Teilurteil vom 22.10.2002 festgestellt, dass der Beklagte es pflichtwidrig versäumte, den Kläger vor Einwilligung in diese Operation über das Risiko einer - ggf. partiellen - Querschnittslähmung aufzuklären. Stattdessen hatte er nur verharmlosend auf das sehr seltene und durch professionelle Durchführung der Operation mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit vermeidbare Risiko eines Blutergusses in der Nähe von Nervengewebe hingewiesen. Am 18.1.2000 legte der Beklagte beim Kläger einen Schlauch in die Rückenmarkshaut (Implantation eines sog. intrathekalen Katheters) zur rückenmarksnahen Morphinapplikation. Nach dem vorgenannten Urteil steht weiter fest, dass es infolge dieser Operation zu einer Blutung in den Hirnwasserraum der Wirbelsäule (sog. subarachnoidale Blutung) im mittleren und oberen Brustwirbelsäulenbereich kam.
Im Betragsverfahren streiten die Prozessparteien darum, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers überhaupt bestehen, welche dieser Beeinträchtigungen auf die subarachnoidale Blutung zurückzuführen sind und in welcher Höhe ein Schmerzensgeldbetrag hierfür angemessen ist.
Die Kammer hat Beweis erhoben durch ein schriftliches Gutachten des Sachverständigen PD Dr. med. J. O., Ltd. Oberarzt der Klinik für Neurochirurgie des Klinikums H., vom 16.6.2006 (vgl. GA Bd. III Bl. 22 bis 30) sowie durch ein schriftliches Ergänzungsgutachten vom 28.12.2006 (vgl. GA Bd. III Bl. 50 bis 54).
Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen der widerstreitenden Rechtsauffassungen der Parteien des Rechtsstreits und wegen des Verlaufs des Verfahrens in erster Instanz, nimmt der Senat auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
Das LG Magdeburg hat im Ergebnis seiner Beweisaufnahme den Beklagten zur Zahlung von 50.000 EUR Schmerzensgeld an den Kläger verurteilt und diese Entscheidung im Wesentlichen darauf gestützt, dass beim Kläger eine Blasenstörung (Harninkontinenz), eine sexuelle Funktionsstörung (Impotenz) und eine schwere Gangstörung vorlägen und eindeutig operationsbedingt seien; gleiches gelte für die festgestellten Empfindungsstörungen und Schmerzen an Rumpf und Beinen. Für die Bemessung des Schmerzensgeldes hat die Kammer weiter berücksichtigt, dass der Kläger zwar bei Eintritt der Schädigung bereits gesundheitlich vorgeschädigt gewesen und dass der Eingriff ohne Behandlungsfehler vorgenommen worden sei, der Beklagte jedoch insbesondere auch nach Rechtskraft des Grund- und Teilurteils nicht einmal teilweise eine Schadensregulierung begonnen habe. Für die Bemessung des Schmerzensgeldes hat es sich auf insbesondere zwei Entscheidungen gestützt, wobei es die maßgebenden Umstände im ersten Fall (OLG Celle, Urt. v. 11.2.1991 - 1 U 71/89, VersR 1992, 749) geringer und im zweiten Fall (OLG Schleswig, Urt. v. 13.1.1995 - 4 U 243/86, NJW-RR 1996, 348) schwerer als im hier vorliegenden Fall bewertete.
Der Beklagte hat gegen das ihm am 23.4.2007 zugestellte Urteil mit einem am 22.5.2007 beim OLG vorab per Fax eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese Berufung innerhalb der Berufungsbegründungsfrist auch begründet.
Mit seiner Berufung wendet sich der Beklagte gegen die Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Gerichts. Er ist insbesondere der Auffassung, dass der gerichtliche Sachverständige kein...