Normenkette
BGB § 305c Abs. 1, § 307 Abs. 1 S. 1; EGV 715/2007 Art. 5 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Magdeburg (Urteil vom 06.06.2021; Aktenzeichen 10 O 1604/20) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 06.06.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Magdeburg abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 15.094,90 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.12.2020 zu zahlen sowie ihn von den aktuell noch bestehenden Verbindlichkeiten gegenüber der A. Bank AG aus dem Darlehensvertrag zur Darlehensvertragsnummer ... i.H.v. derzeit noch 1.448,50 EUR freizustellen, jeweils Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeuges A. mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ... und Übertragung des, der Klagepartei gegenüber der A. Bank AG zustehenden, Anwartschaftsrechts auf Übereignung des vorstehend bezeichneten Fahrzeuges.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 15 % und die Beklagte 85 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf die Stufe bis 19.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen (§§ 313 a Abs. 1 S. 1, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
II. Die zulässige Berufung hat in der Sache im tenorierten Umfang Erfolg.
Der Kläger ist aktivlegitimiert, weil die uferlose Abtretung sämtlicher gegen die Beklagte bestehenden Schadensersatzansprüche, gleich aus welchem Rechtsgrund, an die A. Bank AG (Nr. II. 3 Spiegelstrich 4 der Darlehensbedingungen) gem. §§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB bzw. § 305c Abs. 1 BGB unwirksam ist (vgl. die Hinweise des OLG Stuttgart und des Saarländischen OLG vom 14.05.2020 und 11.02.2021, Anlagen BK 1 und BK 2).
Der Erwerber eines Fahrzeugs, dessen Motorsoftware bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgaswerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten werden, hat gegen denjenigen, der den Motor in Verkehr gebracht hat, einen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB auf Rückabwicklung des Kaufvertrags sowie auf Ersatz der Finanzierungskosten, Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs und Abtretung des gegenüber der finanzierenden Bank bestehenden Anwartschaftsrechts (vgl. BGH, Urt. v. 25.05.2020, VI ZR 252/19; Urt. v. 13.04.2021, VI ZR 274/20, Rn. 14 ff; OLG Oldenburg, Urt. v. 14.01.2021, 1 U 160/20; jeweils zitiert nach juris).
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt, weil die im streitgegenständlichen Motor OM 651 verbaute Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR) eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 715/2007 darstellt und auch die übrigen Voraussetzungen des § 826 BGB vorliegen (vgl. OLG Naumburg, Urt. vom 18.09.2020, 8 U 8/20, Rn. 27 ff, zitiert nach juris). Ergänzend ist lediglich auf Folgendes hinzuweisen: Die KSR, welche unter Prüfstandsbedingungen stets, im Realbetrieb aber jedenfalls in vielen Fällen nicht zur Anwendung gelangt, bewirkt eine eigentlich unerwünschte Verlangsamung der Motorerwärmung, die den einzigen Zweck hat, für eine kurze Zeit die NOx-Emissionen zu vermindern, was sich nennenswert nur innerhalb des NEFZ auswirkt. Da die Regelung darauf ausgelegt ist, eine nennenswerte Reduzierung nur im Prüfbetrieb, nicht aber auf der Straße herbeizuführen, fällt sie von vornherein nicht unter die in Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 normierten Ausnahmen, und zwar selbst dann nicht, wenn die Grenzwerte auch ohne eine Aktivierung der KSR eingehalten würden (vgl. Senat, a.a.O., Rn. 31; OLG Dresden, Beschl. v. 29.07.2021, 9a U 378/20, Rn. 15 ff, Rn. 38; jeweils zitiert nach juris).
Ein im Darlehensvertrag vereinbartes verbrieftes Rückkaufsrecht ist vorliegend nicht ersichtlich und würde im Übrigen den Schaden auch nicht entfallen lassen (vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 08.06.201, 17 U 1162/19, Rn. 91, 92, zitiert nach juris).
Der Kläger muss sich vom Kaufpreis und den bereits gezahlten Darlehensraten allerdings eine Nutzungsentschädigung nach der Formel Bruttokaufpreis × gefahrene Strecke (seit Erwerb) / erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt anrechnen lassen, wobei von einer Gesamtlaufleistung von lediglich 250.000 km ausgegangen werden darf (vgl. BGH, Urt. v. 27.04.2021, VI ZR 812/20, Rn. 13 ff, zitiert nach juris). Damit ergibt sich folgende Berechnung: 27.450,00 EUR × 77.526 gefahrene km (162.000 km aktueller Kilometerstand (vgl. Bl. 138 III d.A.) - 84.474 km bei Erwerb) / 165.526 km Restlaufleistung (250.000 km - 84.474 km) = 12.338,60 EUR. Zieht man diese Nutzungsentschädigung von der Anzahlung i.H.v. 11.500,00 EUR zzgl. den im Zeitraum 03/17 bis einschließlich 09/21 gezahlten 55 Raten á 289,70 EUR (vgl. Anlage K 2) = 15.933,50 EUR, also von insgesamt 27.433,50 EUR ab, verbleiben 15.094,90 EUR.
Hinzu kommt die Verpflichtung zur Freistellung der für den Zeitraum 10/21 bis 02/22 noch offenen 5 Raten i.H.v. insgesamt 1.448,50 EUR.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 Abs. 1. S 2, 288 Abs. 1,...