Normenkette
BGB §§ 31, 823 Abs. 2; EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1; EGV 715/2007 Art. 3 Nr. 10
Verfahrensgang
LG Halle (Saale) (Urteil vom 06.02.2023; Aktenzeichen 3 O 191/22) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 06.02.2023 verkündete Urteil des Landgerichts Halle abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.800,00 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.08.2022 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 90 % und die Beklagte 10 %.
Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in dieser Höhe leistet.
und beschlossen:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf die Stufe bis 50.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger nimmt im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal die Beklagte als Herstellerin des Basisfahrzeugs Fiat Ducato 2.3 l, Multi Jet 3 (110 kW/149 PS), EU6, auf Rückabwicklung eines am 02.07.2020 zu einem Preis von 48.000,00 EUR geschlossenen Kaufvertrages über ein gebrauchtes Wohnmobil vom Typ Sunlight T 66 Modell 2018 mit einem damaligen Kilometerstand von 7.500 km, hilfsweise auf Ersatz eines Differenzschadens i.H.v. 7.200,00 EUR in Anspruch. Bis zum 07.09.2023 ist das Fahrzeug 19.582 km gelaufen.
Ausweislich einer Auskunft des KBA vom 09.05.2022 (Anlage K 6, Bl. 136 ff I d.A.) hat dieses die Modelle Fiat Ducato 2.3 l, 96 kW, Diesel EU 5, sowie Fiat Ducato 2.3 l, 110 kW, Diesel EU 6LNT, untersucht und dabei unzulässige Abschalteinrichtungen festgestellt, weil die AGR-Rate und die NSK-Regenerationen nach einer gewissen Motorlaufzeit verringert bzw. deaktiviert werden und die AGR-Rate zudem umgebungstemperaturabhängig verringert wird; zudem enthält die Motorsteuersoftware einen Timer, der ab dem Motorstart läuft und bei Erreichen eines kalibrierten Wertes das Emissions-Kontrollsystem beeinflusst. Das im streitgegenständlichen Fahrzeug vorhandene Aggregat F1AGL411 ist mit dem vom KBA untersuchten Motor identisch. Des Weiteren ist in der Motorsteuerung des Fahrzeugs unstreitig ein Thermofenster programmiert.
Der Kläger hat vorgetragen, die Motorsteuerung verfüge über eine Prüfstandserkennung. Es sei ein Timer verbaut, welcher dafür sorge, dass nach 22 Minuten, mithin kurz nach Ablauf der Prüfdauer, die AGR-Rate auf nahezu Null zurückgefahren und die Regeneration des NOx-Speicherkats nach einer bestimmten Anzahl von Zyklen bzw. nach einem verstrichenen Zeitraum oder einer Fahrstrecke nicht mehr durchgeführt werde. Erkenne die Motorsteuerung, dass sich das Fahrzeug im Realbetriebe befinde, werde die AGR bereits vorher beendet. Die Beklagte gehe intern selbst davon aus, dass ein Rückruf drohe.
Der Kläger hat in erster Instanz beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 48.000,00 EUR abzüglich einer Nutzungsentschädigung i.H.v. 1.051,41 EUR, mithin 46.948,59 EUR, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Fiat Capron Sunlight T66 mit der FIN: ......, sowie 2.306,82 EUR vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, jeweils nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.06.2022, zu zahlen, sowie festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des vorgenannten Fahrzeugs in Verzug befinde.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, der klägerische Vortrag sei unsubstanziiert. Die AGR werde nicht zeitabhängig moduliert. Der NSK werde nicht nach einer bestimmten Anzahl von Regenerationszyklen abgeschaltet und es sei auch unrichtig, dass nach 22 Minuten oder 6 Regenerationsvorgängen keine Regeneration mehr stattfinde. Es seien keine unzulässigen Abschalteinrichtungen verbaut, denn diese dienten dem Motorschutz. Das Thermofenster begründe nicht den Vorwurf der Sittenwidrigkeit. Da die allein zuständige italienische Behörde MIT trotz wiederholter Intervention des KBA und des von der EU gegen Italien eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens nichts gegen die Beklagte unternommen habe, drohe keine Betriebsuntersagung. Außerdem sei der Anspruch verjährt.
Mit am 06.02.2023 verkündeten Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der klägerische Vortrag sei unsubstanziiert; zudem fehle es mangels eines zu befürchtenden Rückrufs an einem Schaden.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er sein erstinstanzliches Begehren in vollem Umfang weiterverfolgt; hilfsweise für den Fall der Abweisung des ursprünglichen Zahlungsantrags beantragt er,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 7.200 EUR nebst Prozesszinsen abzüglich eines durch das Gericht nach Maßgabe des § 287 ZPO zu ermittelnden Gebrauchsvorteils zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung.
II. Die zulässige Berufung hat in der Sache i...