Leitsatz (amtlich)

Die Nutzungsentschädigung im Rahmen des Vorteilsausgleichs berechnet sich bei Wohnmobilen anhand der Nutzungsdauer.

 

Verfahrensgang

LG Dresden (Aktenzeichen 5 O 1907/22)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 12.05.2023 wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 9.975,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um Schadensersatz wegen eines aus Klägersicht abgasmanipulierten Wohnmobils.

Die Klägerin erwarb mit Lieferdatum vom 26.09.2019 für 66.500 EUR ein neues Wohnmobil der Marke Sunlight I 68 Active Kult Premium. Basisfahrzeug ist ein Fiat Ducato III, Typ 250. In diesem ist ein von der Beklagten hergestellter Dieselmotor des Typs 150 "Multijet" mit 2.287 ccm Hubraum und einer Leistung von 110 kW verbaut, der die Motorkennung F1AGL411C trägt, mit einem Motorsteuergerät der Firma Magneti Marelli, Typ 9DF ausgerüstet ist und der Abgasnorm Euro 6 zugeordnet ist.

Die Klägerin meint, die Beklagte habe sie durch den Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen geschädigt. Sie behauptet, die Abgasrückführung (AGR) und der Katalysator (NSK) würden zeitgesteuert deaktiviert. Zu diesem Zweck habe die Beklagte einen Timer in die Motorsteuerung implementiert, der ab jedem Motorstart laufe und bei Erreichen eines kalibrierten Wertes das Emissions-Kontrollsystem beeinflusse. Dies sei von Arglist geprägt. Die auf dem Motorsteuergerät - unstreitig - implementierte temperaturgesteuerte Software (Thermofenster) führe dazu, dass eine vollwirksame AGR lediglich im genormten Temperaturbereich des seinerzeit im Typengenehmigungsverfahren maßgeblichen Prüfzyklus NEFZ (20° C bis 30 °C) erfolge.

Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat die Einrede der Verjährung erhoben. Die AGR in dem streitgegenständlichen Basisfahrzeug werde nicht zeitabhängig moduliert. Die temperaturbezogene Modulation der AGR-Rate in dem streitgegenständlichen Basisfahrzeug richte sich nicht nach der Außen-, sondern nach der Ansauglufttemperatur. Der auf Werte der Außen-/Umgebungstemperatur bezogene Vortrag der Klägerin treffe daher nicht zu.

Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 12.05.2023, das der Klägerseite am 15.05.2023 zugestellt wurde, abgewiesen. Ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten durch Verwendung der behaupteten Abschalteinrichtungen in einem Bewusstsein der Unzulässigkeit habe die Klägerin nicht darzulegen vermocht. Auch die behauptete zeitliche Deaktivierung geschehe auf dem Prüfstand und im realen Fahrbetrieb in gleicher Weise. Ein Testlauf auf dem NEFZ-Prüfstand dauere 20 Minuten, mithin 2 Minuten weniger. Damit sei schon in zeitlicher Hinsicht die volle Funktion der Abgasnachbehandlung nicht auf den Prüfstandsbetrieb beschränkt. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 VO 715/2007/EG. Zwar habe der EuGH in Bezug auf sog. Thermofenster entschieden, dass die Verordnung neben allgemeinen Rechtsgütern auch die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller schützt. Dem Anspruch hinsichtlich der Verwendung eines etwaigen unzulässigen Thermofensters stehe nach nationalem Recht aber jedenfalls ein unvermeidbarer Verbotsirrtum entgegen. Der BGH habe für den deutschen Rechtskreis bislang den Schutzgesetzcharakter der europäischen Vorschriften verneint; eine Rechtsauskunft der Beklagten zum Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs durch die Klägerin im Jahr 2019 zur Schutzrechtseigenschaft der europäischen Regeln wäre verneinend ausgefallen. Der Beklagten könne daher auch kein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden. Im Übrigen habe die Klägerin einen kausalen Schaden in begehrter Höhe nicht schlüssig dargelegt.

Hiergegen richtet sich die am 05.06.2023 eingegangene und am 11.08.2023 innerhalb der verlängerten Frist mit einer Begründung versehene Berufung der Klägerin. In Ansehung des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Unionsvorschriften stütze sie ihr Begehren weiterhin sowohl auf die zeit- als auch die temperaturgesteuerte Abschalteinrichtung. Ausweislich der Auskünfte seien bei einem identisch motorisierten Fiat Ducato mit der Motorkennung F1AGL411C sowohl zeit- als auch temperaturgesteuerte Abschaltstrategien vorgefunden worden. In der gewollten, zielgerichteten Divergenz des Reinigungsverhaltens im Prüf- und Realbetrieb liege der zentrale Aspekt, der den BGH in seiner Grundsatzentscheidung vom 20.05.2020 bewogen hatte, die Akustikfunktion der VW-AG als sittenwidrigkeitsbegründend zu werten. Es sei dagegen unzutreffend, dass der BGH die Sittenwidrigkeit allein an das Vorhandensein einer Prüfstandserkennung nebst Umschaltlogik knüpfe, wie es zahlreiche Spruchkörper annehmen. Tatsächlich bestehe kein qualitativer Unterschied in den Programmierungen der auf die Erkennung der physikalischen Parameter des...

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