Verfahrensgang

LG Magdeburg (Urteil vom 10.06.2021; Aktenzeichen 10 O 12/21)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 10.06.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Magdeburg wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

und beschlossen:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 19.930,94 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen (§§ 313 a Abs. 1 S. 1, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

II. Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB bzw. § 831 BGB. Die diesbezüglichen Ausführungen des Landgerichts sind zutreffend. Ergänzend ist lediglich darauf hinzuweisen, dass das Fahrzeug zwar über unzulässige Abschalteinrichtungen verfügt, mangels Täuschung des KBA sowie fehlendem Unrechtsbewusstsein bzw. Vorsatz der Beklagten aber keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung i.S.d. § 826 BGB vorliegt und infolge Nichtbestehen einer Stilllegungsgefahr auch kein Schaden entstanden ist.

Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung liegt eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung eines Fahrzeugkäufers vor, wenn der Motorenhersteller auf der Grundlage einer grundlegenden strategischen Entscheidung durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA einen Motor in Verkehr bringt, dessen Steuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten werden, denn damit geht einerseits die Gefahr einer erhöhten Umweltbelastung, und andererseits die Gefahr einer Betriebsbeschränkung- oder -untersagung einher (vgl. BGH, Urt. v. 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 16; OLG Hamm, Urt. v. 22.06.2021, 13 U 194/20, Rn. 49)

Im Hinblick darauf, dass das streitgegenständliche Fahrzeug nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Beklagten (Bl. 137 II d.A.) erst am 03.08.2016, d.h. nach der 22. Kalenderwoche 2016, ab der Neufahrzeuge nach der "Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien und Freigabevorgaben EA 288" keine Fahrkurve mehr enthalten sollten, produziert worden ist, ist davon auszugehen, dass in dem Fahrzeug keine Fahrkurve, d.h. eine Prüfstandserkennung anhand eines Zeit-Strecken-Korridors mehr hinterlegt worden ist. Unabhängig davon stellt eine Fahrkurvenerkennung als solche keine Abschalteinrichtung dar (vgl. OLG Naumburg; Urt. v. 31.05.2021, 12 U 35/21, Rn. 16: OLG Stuttgart, Urt. v. 18.05.2021, 16a U 1576/20, Rn. 26; OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.05.2021, 18 U 526/19, Rn. 43; jeweils zitiert nach juris). Aufgrund dessen kommt es auch nicht darauf an, was der Sachverständige Dr. H. hierzu in seiner Stellungnahme vom 14.04.2021 ausgeführt hat, zumal sich diese auf ein im Jahr 2014 erstzugelassenes Fahrzeug bezog. bzw. darauf, ob das Fahrzeug den Prüfstand anhand der Temperatur, der Zeit, der Beschleunigung, der Drehzahl oder des Lenkwinkels erkennt.

Mangels Fahrkurvenerkennung ist nicht ersichtlich, dass auch im vorliegenden Fall noch die bei EA288 EU6 SCR Motoren mit Fahrkurvenerkennung an letztere anknüpfende, nur auf dem Prüfstand erfolgende Beibehaltung einer erhöhten AGR-Rate nach Erreichen der SCR-Betriebstemperatur von 200 °C (vgl. Bl. 103 I d.A.) sowie die nur im Prüfbetrieb bereits ab 130°C und nicht erst (wie im Realbetrieb) bei 150 °C SCR-Betriebstemperatur erfolgende AdBlue-Eindüsung (vgl. hierzu den eigenen diesbezüglichen Vortrag der Beklagten auf Bl. 4, 67 f III d.A. in der Parallelsache 8 U 13/21) erfolgt. Vielmehr wird nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Beklagten die AGR-Rate und die AdBlue-Dosierung auf dem Prüfstand und im Realbetrieb auf der Basis physikalischer Randbedingungen gleich angesteuert (Bl. 139 f, 142 II d.A.).

Hierzu hat der Bundesgerichtshof zunächst zum sog. Thermofenster (BGH, Beschl. v. 19.01.2021, VI ZR 433/19, Rn. 17 ff. Beschl. v. 09.03.2021, VI ZR 889/20. Rn. 25 ff) und zwischenzeitlich auch zur sog. Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (vgl. BGH, Hinweisbeschluss vom 13.10.2021, VII ZR 99/21, Rn. 24) indes entschieden, dass bei Einrichtungen, die "im Grundsatz auf dem Prüfstand und im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise" arbeiten, von einem Unrechtsbewusstsein bzw. Vorsatz der Beklagten nur bei Hinzutreten weiterer Umstände ausgegangen werden kann (in diesem Sinne auch OLG Hamm, Urt. v. 29.06.2021, 13 U 175/20, Rn. 67; Urt. v. 01.06.2021, 34 U 81/20, Rn. 80; Urt. v. 01.06.2021, 34 U 81/20, Rn. 111).

Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung handelt die Beklagte auch dann nicht ohne weiteres sittenwidrig, wenn sie die Schaltkriterien für die AGR-Raten sowie die Ad-Blue Dosierung an die physikalischen Randbedingungen des NEFZ, also z.B. an bestimmte Temperaturen (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 22.06.2021, 13 U 194/20, Rn. 67; OLG Frankfurt, Urt. v. 20.05.2021, 4 U 176/20, Rn. 32 ff), Drücke, Drehzahlen und Lasten (vgl. OLG Hamm. Urt. v. 01.06.2021, 34 U 81/20, Rn. 111, OLG Oldenburg. Urt. v. 14.0...

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