Leitsatz (amtlich)
Eine Räum- und Streupflicht setzt eine allgemeine Glättebildung und nicht das Vorhandensein vereinzelter Glättestellen voraus. Für die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht trägt der Verletzte die Darlegungs- und Beweislast. Der Anscheinsbeweis greift erst dann ein, wenn zuvor festgestellt wurde, dass das Unfallereignis in einem Zeitraum stattgefunden hat, während dessen die Unfallstelle hätte gestreut gewesen sein müssen. Räumt der Streupflichtige eine Witterungslage ein, die grundsätzlich eine Räum- und Streupflicht begründen würde, behauptet aber, es hätten Umstände vorgelegen, die ein Streuen zwecklos gemacht hätten, beruft er sich auf eine Ausnahmesituation, für die er beweispflichtig ist.
Macht sich der Kläger erstmals im Termin zur mündlichen Verhandlung über die Berufung hilfsweise das Beklagtenvorbringen über die Witterungslage zu eigen, womit er seine Klage erstmals schlüssig macht und bestreitet gleichzeitig die Ausnahmesituation, so ist er mit diesem Vorbringen als verspätet ausgeschlossen, wenn die Beklagte hierauf sofort Sachverständigenbeweis anbietet, der auch zu erheben wäre.
Verfahrensgang
LG Stendal (Urteil vom 12.11.2013; Aktenzeichen 23 O 160/12) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 12.11.2013 verkündete Urteil des LG Stendal (23 O 160/12) abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
und beschlossen:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf die Gebührenstufen bis 13.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin macht Ansprüche wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht geltend. Die Beklagten sind die Eigentümer des Grundstücks A. Straße 26 in B. (Eckgrundstück mit der E. Straße). Die Klägerin verließ gegen 18.15 Uhr am 22.12.2010 ihren Arbeitsplatz (Gebäude der Sparkasse St.). Sie stieg dann in das Fahrzeug der Zeugin E. und fuhr mit ihr mit. Am Grundstück A. Straße 26 stieg die Klägerin aus, um zu ihrer Wohnung A. Straße 28 zu gehen. Als sie um die Ecke der E. Straße ging, stürzte die Klägerin nach etwa 3 - 4 Metern und verletzte sich erheblich.
Die Parteien tragen insbesondere zu den am 22.12.2010 herrschenden Witterungsverhältnissen unterschiedlich vor. Nach dem Vortrag der Klägerin war an der Unfallstelle vorhandene Eisglätte die Ursache für den Sturz. Abstumpfende Mittel seien nicht gestreut gewesen. Die Gefahrenquelle sei für sie nicht erkennbar gewesen. Weder am Gebäude der Sparkassen, noch beim Aussteigen aus dem Fahrzeug der Zeugin E. habe sie Eisglätte festgestellt. Ein Glatteiszustand sei nicht augenfällig gewesen (Bl. 45).
Demgegenüber tragen die Beklagten vor, dass am behaupteten Unfalltag (den Unfallhergang selbst bestreiten sie mit Nichtwissen) wegen Aussichtlosigkeit von Streudiensten überhaupt keine Winterdienstpflicht bestanden habe. Es habe den ganzen Tag bei Temperaturen unter Null Grad geregnet. Der Niederschlag sei sofort gefroren. Sie hätten zwar keine abstumpfenden Mittel, wohl aber mehrfach Salz gestreut, weil es sich dabei um das einzig denkbare Mittel gehandelt habe (unter Hinweis auf § 7 Abs. 8 der Satzung der Stadt B. über die Reinigung der öffentlichen Straßen, Wege und Plätze [Bl. 84]). Letztlich sei die Witterung aber so beschaffen gewesen, dass auch dies keinen Erfolg gehabt habe, so dass eine Streupflicht entfallen sei. Die Glätte sei erkennbar, die Gesamtsituation geradezu augenfällig gewesen. Die Beklagten wenden weiter ein Mitverschulden ein. Die Klägerin habe den Witterungsverhältnissen nicht angemessenes Schuhwerk getragen.
Zum Unfallhergang hat das LG die Klägerin persönlich angehört und die Zeugin E. vernommen (dazu: Protokoll vom 10.9.2012 [Bl. 55 ff.]).
Die Klägerin wurde mit einer dislozierten Sprunggelenksfraktur rechts in das Krankenhaus St. eingeliefert, die dort operativ versorgt wurde. Die Klägerin verblieb bis 3.1.2011 in stationärer Behandlung. Am 4.2.2011 wurde ambulant eine Stellschraube entfernt. Die Klägerin war bis 4.4.2011 einschließlich arbeitsunfähig. In der Zeit bis zum 6.7.2011 bestand eine MdE von 30 %, bis 7.7.2012 eine MdE von 20 %. Mit einer verbleibenden MdE von 20 % ist zu rechnen. Es gibt Anzeichen für eine beginnende posttraumatische Arthrose im oberen rechten Sprunggelenk, weiter bestehen Bewegungsbeeinträchtigungen (dazu Rentengutachten vom 12.7.2011 [Bl. 5 ff., zu verbleibenden Beschwerden insbesondere Bl. 8 a.E./8R]).
Mit der vorliegenden Klage verlangt die Klägerin ein Schmerzensgeld von 8.000,- Euro, Fahrtkosten i.H.v. 210,- Euro (für Fahrten des Ehemannes der Klägerin und ihrer Kinder von B. nach St., um die Klägerin zu besuchen; dazu Protokoll vom 29.10.2012 [Bl. 80 f.]), eine Kostenpauschale von 25,- Euro sowie Ersatz für zwei verfallene Comedykarten (54,25 EUR), weil sie infolge der Verletzung an der Veranstaltung nicht habe teilnehmen können. Weiter macht sie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nach einem Gegenstandswert von 8.289,25 EUR geltend (Berechnun...