Leitsatz (amtlich)
Bei einem unter mehrfachen Grunderkrankungen leidenden und nun zusätzlich akut erkranktem Wachkomapatienten ohne Patientenverfügung und ohne Betreuer ist vor der Entscheidung, ihn intensivmedizinisch zu behandeln oder nur pflegerisch zu versorgen, der mutmaßliche Patientenwille (heute geregelt in den §§ 1901a, 1901b BGB) zu ermitteln und ein Konsens mit den nächsten Angehörigen (hier den Eltern) zu versuchen. Kann dieser nicht erzielt werden, ist die bereits begonnene Therapie der Akuterkrankung mit allem was dazu notwendig ist, fortzusetzen. Zur Frage, ob bei Versterben des Wachkomapatienten Schmerzensgeldansprüche der Angehörigen aus eigenem oder übergegangenem Recht bestehen (hier verneint).
Verfahrensgang
LG Dessau-Roßlau (Urteil vom 18.11.2011; Aktenzeichen 4 O 915/10) |
Tenor
Auf die Berufung der Kläger zu 1) und zu 2) wird das am 18.11.2011 verkündete Urteil des LG Dessau-Roßlau (4 O 915/10) unter Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels abgeändert:
Die Beklagten werden verurteilt, an die Kläger zu 1) und zu 2) 4.376,28 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.11.2010 zu zahlen.
Die Beklagten werden weiter verurteilt, die Kläger zu 1) und zu 2) von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten des Rechtsanwalts J. W., N. Straße 101, H. i.H.v. 933,44 EUR freizustellen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Berufung der Klägerin zu 3) gegen das am 18.11.2011 verkündete Urteil des LG Dessau-Roßlau (4 O 915/10) wird zurückgewiesen.
Die Klägerin zu 3) trägt vorab ihre eigenen außergerichtlichen Kosten. Im Übrigen tragen die Kosten des Rechtsstreits die Kläger zu 95 % und die Beklagten zu 5 %.
Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten. Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
und beschlossen:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf die Gebührenstufe bis 80.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die Kläger zu 1) und 2) sind die Eltern und Erben des am 23.11.2004 verstorbenen P. F. (i. F. Patient). Die Klägerin zu 3) ist seine Schwester. Der am 14.11.1983 geborene Patient wurde im Jahre 1998 an einem Gehirntumor operiert und befand sich seit dem im Zustand eines Wachkomas. Der Patient litt an einem apallischen Syndrom, einer spastischen Tetraparese und war erblindet. Er wurde zu Hause im Wesentlichen von der Klägerin zu 1) gepflegt. Im August 2003 wurde der Patient in das Diakonissenkrankenhaus in D. eingeliefert, damit eine gelegte Magensonde ausgetauscht werden konnte. Bei dem Krankenhausaufenthalt wurde auch eine Bronchopneumonie festgestellt. Nach einem Antibiogramm wurde zunächst mit Avalox, dann mit Unacid und schließlich mit Tazobac therapiert (jeweils Produktname des Antibiotikums, nicht der Wirkstoff). Nachdem das Fieber dauerhaft gesenkt werden konnte, wurde der Patient nach Hause entlassen. Am 13.11.2004 wurde der Patient durch den Notarzt mit der Verdachtsdiagnose einer links-basalen Pneunomie und einer Temperatur von mehr als 40 C bei der Beklagten zu 1) eingeliefert, wo er auf der Normalstation aufgenommen wurde. Bei einer dort gemessenen Temperatur von 38,8 C wurde sofort mit der antibiotischen Therapie mit dem Mittel Avalox begonnen. Am 14.11.2004 wurde ein Abstrich genommen, der am 17.11.2004 ausgewertet war. Am 15.11.2004 wurde die Magensonde gegen einen Urinkatheter ausgetauscht. Am 16.11.2004 wurde eine erste Röntgen-Thorax-Aufnahme erstellt (eine zweite am 23.11.2004) und die Antibiotikumtherapie auf Fortum umgestellt. Nach dem Befund des Abstriches vom 14.11.2004 wurden die Bakterien Serratia, Klebsiella und Troteus nachgewiesen, die sowohl auf Avalox als auch auf Fortum sensibel reagierten. Am 18.11.2004 wurde eine therapeutische Bronchoskopie durchgeführt (wiederholt am 23.11.2004), bei der auch Schleim abgesaugt wurde. Dem Patienten wurde zunächst auch ein Bronchosekretolytikum verabreicht, das später gänzlich abgesetzt wurde, nach dem Vortrag der Beklagten deshalb, weil wegen verstärkter tracheobronchialer Sekre-tion eine regelmäßige Absaugung erforderlich war. Der Befund der Bronchoskopie vom 18.11.2004 lag am 21.11.2004 vor. Nachgewiesen wurden Pseudomonas aeruginose und Serratia marcecscens (aber keine Sproßpilze), die beide sowohl auf Avalox, Fortum als auch auf Tavanic sensibel waren. Am 22.11.2004 wurde die Antibiotikumtherapie um das Mittel Tavanic erweitert. Im Ergebnis der Bronchoskopie vom 23.11.2004 (das erst nach dem Tod des Patienten vorlag) wurde auch Klebsiella oxytoxca nachgewiesen, die resistent gegen Fortum waren aber sensibel gegen Tavanic. Der Patient wur...