Leitsatz (amtlich)
1. Sowohl ein wendender als auch ein abbiegender Kraftfahrzeugführer, für welchen § 9 Abs. 5 StVO gilt, muss unvorhersehbare Regelwidrigkeiten anderer Verkehrsteilnehmer nicht in seine Überlegungen einbeziehen.
2. Auch eine erhöhte Betriebsgefahr eines nach links abbiegenden Gespannes kann vollständig hinter dem Verursachungs- und Verschuldensbeitrag des Unfallgegners zurücktreten, wenn diesem ein grobes Verschulden vorzuwerfen ist.
3. Grob verkehrswidrig ist ein Verhalten, dass sich objektiv als ein besonders schwerer Verstoß gegen eine Verkehrsvorschrift und die Sicherheit des Straßenverkehrs darstellt.
Verfahrensgang
LG Stendal (Urteil vom 09.10.2009; Aktenzeichen 23 O 201/08) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 9.10.2009 verkündete Urteil der Einzelrichterin der Zivilkammer 3 des LG Stendal wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Beschwer der Klägerin übersteigt 20.000 EUR nicht.
und beschlossen:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Von der Wiedergabe der tatsächlichen Feststellungen wird gem. §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
II. Die Berufung ist zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Das angefochtene Urteil des LG würdigt den Sachverhalt richtig und erscheint hinsichtlich der gebildeten Haftungsquote gut vertretbar.
Im Ergebnis hat die Klägerin wegen des von ihr verursachten Verkehrsunfalls vom 4.2.2008 keinen Anspruch gegen die Beklagten nach §§ 7 Abs. 1, 17, 18, 11 StVG i.V.m. § 3 PflVG a.F.
1. Zutreffend ist das LG davon ausgegangen, dass es den Beklagten zwar nicht gelungen ist, den Unabwendbarkeitsnachweis gem. § 17 Abs. 3 S. 2 StVG zu führen. Denn hierzu hätten sie nachweisen müssen, dass der Beklagte zu 1), der die Zugmaschine gelenkt hat, die ihm obliegende doppelte Rückschaupflicht eingehalten hat. Da die Klägerin dies bestritten hat und es hierfür keine Zeugen gibt, bleibt es grundsätzlich bei der Haftung nach § 7 StVG. Die gleichen Folgen treten ein für die Exkulpation des Beklagten zu 1) selbst, dessen Verschulden als Fahrzeugführer gem. § 18 Abs. 1 S. 2 StVG vermutet wird.
2. Die Klägerin selbst aber haftet gem. § 7 Abs. 1 StVG nicht nur auf Grund der Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs, sondern vor allem wegen ihres verbotswidrigen Überholmanövers, das sie selbst einräumt.
3. Da sowohl die Klägerin als auch die Beklagten nach dem Straßenverkehrsgesetz haften, muss zwischen ihnen ein Schadensausgleich gem. § 17 Abs. 1 und 2, § 18 Abs. 3 StVG erfolgen. Hierzu hat das Gericht die jeweiligen Verursachungsbeiträge gegeneinander abzuwägen und dann bezüglich der Haftung eine Quote zu bilden. Dabei trägt derjenige den größeren Verantwortungs- und Haftungsanteil, dessen Verhalten den Eintritt des Schadens in höherem Maße wahrscheinlich gemacht hat (Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, 20. Aufl. 2008, § 17 StVG Rz. 17). Wiegt die Verursachung eines Beteiligten so schwer, dass der Verursachungsbeitrag oder die Betriebsgefahr des anderen Teils davon überlagert wird, so ist auch eine 100%ige Haftung denkbar. Denn nach einhelliger Rechtsprechung kann bei einem schwerwiegenden Verkehrsverstoß die Betriebsgefahr des anderen Fahrzeugs ganz zurücktreten (vgl. BGH VersR 1969, 738; 1995, 357; NZV 1996, 272).
4. Einen solchen Fall hat das LG hier zu Recht angenommen.
a) Bei der zuvor beschriebenen Abwägung dürfen nur feststehende, d.h. unstreitige, zugestandene oder erwiesene Umstände, die sich nachweislich auf den Unfall ausgewirkt haben, bei der Ermittlung der Verursachungsbeiträge berücksichtigt werden (vgl. BGH NJW 2005, 1940; Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, a.a.O., Rz. 12; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl. 2009, § 17 StVG Rz. 31).
Wo eine Haftung als solche und eine Ausgleichspflicht grundsätzlich in Betracht kommen, hat im Rahmen des § 17 StVG der jeweils andere Teil dem Halter einen als Verschulden anzurechnenden Umstand oder andere dessen Betriebsgefahr erhöhende Tatsachen zu beweisen (vgl. BGH NZV 1996, 231; VersR 1967, 132).
Das bedeutet, dass im vorliegenden Fall die Klägerin für alle die von ihr behaupteten Umstände beweisbelastet ist, die zu Lasten der Beklagten berücksichtigt werden sollen.
b) Solche Umstände, die zu Lasten der Beklagten zu berücksichtigen wären, lassen sich im vorliegenden Fall nicht feststellen.
aa) Die Klägerin meint, der Beklagte zu 1) habe gegen die Verbote nach Zeichen 295 StVO verstoßen. Dieses Fahrbahnzeichen gebietet, dass nur rechts von ihm gefahren und die durchgezogene Linie nicht überfahren werden darf. Unstreitig endete das Zeichen jedoch auf Höhe des Beginns der Einmündung, das Abbiegen ist hier also erlaubt. Denn nach ihrem Ende beschränkt die durchgezogene Linie die Fahrtrichtung in keiner Weise (Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, 20. Aufl. 2008, § 9 StV0 Rz. 50).
Ob der Beklagte zu 1) beim Abbiegen tatsächlich mit den Trakto...