Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftungsverteilung zwischen Überholer und links abbiegendem Traktor auf Landstraße

 

Leitsatz (amtlich)

Die Betriebsgefahr eines nach links in einen Wirtschaftsweg abbiegenden Traktors kann vollständig zurücktreten, wenn aufgrund der örtlichen Umstände (Unterführung, potentieller Gegenverkehr) nicht mit dem Überholen nachfolgender Fahrzeuge gerechnet werden muss und sich das Überholen als grob verkehrswidrig darstellt.

 

Normenkette

StVG §§ 7, 17; StVO §§ 5, 9

 

Verfahrensgang

LG Darmstadt (Urteil vom 26.09.2013; Aktenzeichen 2 O 339/11)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des LG Darmstadt vom 26.9.2013 abgeändert.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 5.918,36 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 11.836,72 EUR vom 5.2.2011 bis zum 7.4.2011 sowie aus 5.918,36 EUR seit dem 8.4.2011, sowie vorgerichtliche Kosten von 546,69 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.8.2011 zu zahlen.

Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Gegenstandswert für die Berufungsinstanz wird auf 5.918,36 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Kläger verlangt von den Beklagten restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am ... 10.2010 in Stadt1 ereignet hat. Der Zeuge A wollte mit dem Traktor mit Anhänger von der L. hinter einer Rechtskurve nach links in einen Wirtschaftsweg einbiegen, um Düngearbeiten auszuführen. Dabei kam es zum Zusammenstoß mit dem Fahrzeug der Beklagten zu 2), die den Traktor überholen wollte und mit ihrem Fahrzeug gegen das linke Vorderrad des Traktors stieß. Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen. Die Beklagte zu 1) hat bereits vorgerichtlich 50 % des Schadens übernommen.

Das LG hat die Klage abgewiesen, nachdem es umfangreich Beweis erhoben hat. Es hat zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe ein unabwendbares Ereignis nicht beweisen können, weshalb er sich zumindest die einfache Betriebsgefahr des Traktors entgegenhalten lassen müsse. Der Zeuge A habe den erhöhten Sorgfaltsanforderungen beim Abbiegen in einen Feldweg nicht genügt. Es spreche bereits der Beweis des ersten Anscheins für eine Verletzung der zweiten Rückschaupflicht. Die genaue Quote der Haftungsverteilung könne allerdings offen bleiben, weil der Kläger auch den Schaden an seinem Fahrzeug nicht ausreichend nachgewiesen habe. Der Sachverständige habe in Ermangelung von Schadensfotos des Beklagtenfahrzeugs und spurtechnischer Feststellungen nicht vermocht, eine ausreichende Kompatibilität der geltend gemachten Schäden festzustellen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung und begehrt restlichen Schadenersatz.

Der Kläger beantragt, wie erkannt.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands zweiter Instanz wird auf die Schriftsätze der Parteien, die dazu überreichten Unterlagen und die Erörterungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat Bezug genommen.

II. Die Berufung ist begründet.

1. Der Kläger hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner gemäß den §§ 7 Abs. 1, 18 StVG, 115 VVG einen Anspruch auf Ersatz des ihm durch den Unfall entstandenen Schadens in voller Höhe. Ausweislich der Feststellungen des LG hatte sich der Zeuge A mit seinem Gespann rechtzeitig eingeordnet und auch den linken Fahrtrichtungsanzeiger rechtzeitig gesetzt.

Die rechtliche Bewertung ergibt, dass zwar grundsätzlich beide Seiten für die Folgen des Verkehrsunfalls haften, im Ergebnis allerdings die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Klägers zurücktritt. Der Unfall ist bei Betrieb beider Fahrzeuge i.S.d. § 7 StVG entstanden und war für keinen der Fahrzeughalter ein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG. Da sowohl der Kläger als auch die Beklagte zu 2) Halter und Eigentümer ihrer Fahrzeuge sind, richtet sich die Haftungsverteilung nach § 17 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StVG. Bei der Haftungsverteilung nach § 17 Abs. 1 StVG ist zunächst davon auszugehen, dass die Beteiligten gleichermaßen, nämlich nach Kopfteilen gem. § 426 BGB haften, soweit nicht ein anderes bestimmt ist. Diese andere Bestimmung findet sich in § 17 StVG, wonach die Haftungsverteilung sich nach den Umständen und dort insbesondere nach der Verursachungswahrscheinlichkeit richtet. Auszugehen ist aber zunächst von gleich hohen Betriebsgefahren, die sich daraus ergeben, dass beide Seiten gemäß den §§ 7 StVG, 840 BGB in vollem Umfang für die bei dem Unfall eingetretenen Schäden haften.

Die so gefundene gleich hohe Verantwortlichkeit ist unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Unfallhergangs nach den Grundsätzen der überwiegenden Verursachung i.S.d. § 17 StVG zu modifizieren. Dabei kommt es allerdings in erster Linie nicht auf Verschulden oder Mitverschulden an. § 17 StVG spricht ausdrücklich nur von Mitverursachung, ebenso ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge