Leitsatz (amtlich)
1. Ist Gegenstand eines Arzthaftungsprozesses eine gynäkologische Behandlung (hier: Entfernung eines Ovarialkarzinoms), fällt der Behandlungsfehlervorwurf jedoch in eine andere medizinische Fachrichtung (hier: Gastroenterologie - Nichterkennen eines weiteren, kolorektalen Karzinoms), so kann die Auswahl des gerichtlichen Sachverständigen aus einer interdisziplinären medizinischen Fachrichtung (hier: Viszeralchirurgie; auch Onkologie) geboten sein; jedenfalls ist sie regelmäßig nicht zu beanstanden.
2. Die Durchführung einer Koloskopie (Darmspiegelung) ist kein routinemäßig zu erhebender Befund nach der Entfernung eines Ovarialkarzinoms, auch dann nicht, wenn dieses seinem Zelltyp nach ein (primäres) Adenokarzinom ist. Eine Koloskopie ist ein eigenständiger körperlicher Eingriff, für den eine medizinische Indikation gegeben sein muss.
3. Ein Krankenhausarzt, der einen Patienten auf Grund einer Überweisung wegen eines konkreten Krankheitsgeschehens behandelt, ist nicht zur therapeutischen Aufklärung über die Möglichkeit und ggf. Zweckmäßigkeit prophylaktischer invasiver Krebsvorsorgeuntersuchungen verpflichtet.
Verfahrensgang
LG Magdeburg (Urteil vom 28.05.2003; Aktenzeichen 8 O 1483/01) |
Tenor
Die Berufung der Kläger gegen das am 28.5.2003 verkündete Urteil des LG Magdeburg, 8 O 1483/01, wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger können die Zwangsvollstreckung durch die Beklagten durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden bzw. des tatsächlich vollstreckten Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagten Sicherheit in gleicher Höhe geleistet haben.
Die Revision wird nicht zugelassen. Die Beschwer der Kläger übersteigt 20.000 EUR.
Gründe
I. Die Kläger begehren von den Beklagten materiellen Schadenersatz, Schmerzensgeld sowie die Feststellung der Einstandspflicht für künftige materielle und immaterielle Schäden aus der gynäkologischen Behandlung der B. Ht. im Dezember 1999 im Krankenhaus der Beklagten zu 1) durch die Beklagten zu 2) (Chefarzt der gynäkologischen Abteilung), zu 3) (Oberärztin in dieser Abteilung) und zu 4). B. Ht. war Ehefrau des Klägers zu 1) und Mutter der Kläger zu 2) und zu 3). Sie verstarb am 15.12.2000 an den Folgen eines Karzinoms im Bereich des colon sigmoideum, d.h. desjenigen Teils des Dickdarms, aus dem der Mastdarm (Rektum) hervorgeht. Die Kläger sehen es als behandlungsfehlerhaft an, dass dieser Tumor nicht bereits im Dezember 1999 von den Beklagten entdeckt und einer kurativen Therapie zugeführt worden ist. Im Einzelnen:
Bei der am 28.12.1959 geborenen B. Ht. (künftig: die Patientin) war im Jahre 1997 eine Dermoidzyste, d.h. eine gutartige (benigne), aus verschiedenen Geweben bestehende Geschwulst, im linken Eileiter festgestellt worden. Zur Behandlung wurde eine Salpingoophorektomie, d.h. eine Entfernung des linken Eileiters und des zugehörigen Eierstocks, vorgenommen; zugleich wurde der rechte Eileiter sterilisiert.
Im September 1999 wurde die Patientin von ihrem Gynäkologen, Dipl.-Med. H.R. in B., wegen des Verdachts auf erneute Bildung einer Dermoidzyste - nun im rechten Eileiter - an die gynäkologische Abteilung des Krankenhauses der Beklagten zu 1) (künftig: das Krankenhaus) überwiesen (vgl. GA Bd. I Bl. 74). Die Patientin wurde am 30.11.1999 im Krankenhaus aufgenommen. In ihrer Eigen- und Familienanamnese anlässlich des Aufklärungsgespräches verneinte die Patientin eigene Erkrankungen des Verdauungstraktes und Störungen des Stoffwechsels. Hinsichtlich der familiären Vorbelastungen ist im Krankenblatt "blande", d.h. unauffällig, vermerkt; es findet sich kein Hinweis auf eine gesonderte Nachfrage bzw. auf die unaufgeforderte Angabe der Patientin dazu, dass jeweils ihre Großmutter väterlicherseits an Darmkrebs, ihr Großvater an Lungenkrebs und ihre Urgroßmutter an Unterleibskrebs verstorben waren.
Am 1.12.1999 führte die Beklagte zu 3) in Assistenz der Beklagten zu 2) und zu 4) eine laparoskopische Operation durch. Sie stellte bei ihrer Untersuchung ein ca. sechs Zentimeter großes Ovarialkarzinom rechts, d.h. eine mandarinengroße bösartige Geschwulst im rechten Eierstock, sowie eine vereinzelte bohnengroße Metastase im Bereich des rechten Omentum maius, d.h. des s.g. großen Netzes über die Dünndarmschlingen, fest. Das Gewebe wurde während der Operation nach s.g. Schnellschnitt histologisch untersucht. Der Pathologe bestätigte telefonisch das Vorliegen eines "hochdifferenzierten zystisch-papillären muzinösen Ovarialkarzinoms", d.h. einer schleimigen Tumorgeschwulst in Zysten- und Bläschenform. Er fügte seiner am 3.12.1999 vorab per Fax übersandten schriftlichen Diagnose die Bemerkung an:
"..., nicht auszuschließen ist eine metastatische Karzinose eines schleimbildenden Adenokarzinoms" (vgl. Bericht Dr. med. E., Pathologie, vom 1.12.1999, GA Bd. I Bl. 52 f.), mit anderen Worten, dass das im rechten Eileiter entdeckte Karzinom seinem Zelltyp nach u.U. auch eine a...