Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Voraussetzungen, unter denen ein Nachbar die Blendwirkungen eines Edelstahlschornsteins auf dem Dach eine Wohnhauses nicht mehr zu dulden hat.
2. Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis kann durch einen blendenden, nahe dem Nachbargrundstück stehenden Edelstahlschornstein verletzt sein; das ästhetische Empfinden hat unter Umständen zurückzutreten, wenn eine andere Ausführung ohne technische Auswirkungen die Einwirkung vermeiden kann.
Verfahrensgang
LG Magdeburg (Urteil vom 05.10.2018; Aktenzeichen 10 O 1937/15) |
Tenor
Unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin im Übrigen wird das am 5. Oktober 2017 verkündete Einzelrichterurteil des Landgerichts Magdeburg teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, die Edelstahlschornsteinanlage auf dem Dach des Hauses I. 11 in W. /Ortsteil B., soweit sie zum Grundstück I. 13 in W. /Ortsteil B. ausgerichtet ist, durch geeignete Maßnahmen in einen Zustand zu versetzen, welcher ausschließt, dass von der Edelstahlschornsteinanlage auf dem Haus I. 11 zu dem Grundstück I. 13 hin an sonnigen Tagen, insbesondere im Früh- und Hochsommer von Ende April bis Mitte September des Jahres, unzumutbare Reflexblendungen ausgehen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltsvergütung in Höhe von 203,19 EUR nebst Zinsen in Höhe von 19 v.H. seit dem 21. Januar 2016 zu zahlen.
3. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
und beschlossen:
Der Streitwert des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz beträgt jeweils 3.000,00 EUR.
Gründe
A. Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Beseitigung einer behaupteten Blendwirkung, die von einem Edelstahlschornstein auf dem Dach des Hauses der Beklagten ausgeht.
Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstückes I. 13 in W. /OT B. . Die Beklagte, Eigentümerin des Nachbargrundstückes I. 11, installierte im Herbst 2012 auf ihrem Grundstück einen hochglänzenden Edelstahlschornstein mit einer Höhe von ca. 8 m und einem Durchmesser von 15 cm. Die Ausführung in Edelstahloptik beruht auf dem Wunsch und dem Geschmack der Beklagten. Eine technische Notwendigkeit hierfür besteht nicht.
Bei Sonneneinstrahlung kommt es zu Reflexionen, durch die sich die Klägerin in den Monaten April bis September an sonnigen Tagen vom Vormittag bis in die Abendstunden beeinträchtigt fühlt.
Die Klägerin forderte die Beklagte ab Herbst 2014 mehrmals mündlich und zuletzt am 28. April 2015 schriftlich unter Hinweis auf Abhilfemaßnahmen auf, den Schornstein so zurückzubauen, dass eine Blendwirkung durch die Reflexionen ausgeschlossen ist (Anlage K 4, Bl. 25 Bd. I d. A.), was die Beklagte ablehnte. Ein zwischen den Parteien durchgeführtes Schlichtungsverfahren scheiterte. Die Beklagte lehnte eine Beseitigung unter Hinweis auf die Ästhetik der Edelstahloptik ab.
Des Weiteren macht die Klägerin die Rechtsanwaltsvergütung für das Schlichtungsverfahren in Höhe von 593,57 EUR und für die außergerichtliche Vertretung in Höhe von 729,23 EUR geltend.
Die Klägerin hat behauptet, die Blendwirkungen des Schornsteines seien in der Küche, im Wohn- und Schlafzimmer, der Loggia, der Außenterrasse und im Gartenbereich sehr stark. Der Beklagten sei es durch einfaches Aufsprühen eines Thermospeziallackes im Wert von wenigen hundert EUR zumutbar, die Blendwirkung zu unterbinden. Mit weiterem Schriftsatz vom 21. September 2016 hat sie behauptet, der Aufwand hierfür belaufe sich auf mehrere Tausend EUR, weil eine Demontage des Schornsteines erforderlich sei. Alternativ sei auch eine gebürstete oder mattierte Ausführung möglich.
Die Beklagte hat behauptet, die Blendwirkungen seien untergeordneter Natur. Eine Verschattung der Räume im Haus der Klägerin sei nicht erforderlich.
Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Dr. Ing. M. aufgrund Beweisbeschlusses vom 1. November 2016 sowie der mündlichen Erläuterung dieses Gutachtens abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Klägerin stehe gegenüber der Beklagten kein Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 BGB zu. Vielmehr bestehe eine Duldungspflicht der durch den Edelstahlschornstein gegebenen Beeinträchtigungen durch die Klägerin gemäß den §§ 1004, 906 Abs. 1 S. 2 BGB. Zwar sei der Klägerin zuzugeben, dass eine Eigentumsstörung auch durch Lichtreflexe vorliegen kann, für die ein Abwehranspruch aus § 1004 BGB gegeben sein könne. Der Sachverständige habe auf dem Grundstück der Klägerin auch Blendwirkungen festgestellt. So betrage an dem vom Sachverständigen bestimmten Immissionsort rechtsseitiger Fensterbereich, Wohnraum Erdgeschoss, Wohnen/Essen die maximal mögliche jährliche astronomische Blenddauer im Zeitraum von Ende März bis Ende September ca. 850 Stunden, am Immissionsort Mitte Loggia Obergeschoss ca. 600 Stunden sowie im Wohnraum OG Schlafzimmer ca. 465 Stunden; auf der Mitte der Terrasse betrage sie 260 Stunden. Au...