Leitsatz (amtlich)

In der Unfallversicherung ist bei einer distalen Radiusfraktur, die zu einer Funktionsbeeinträchtigung des Handgelenkes führt, für eine Invaliditätsbemessung nach der Gliedertaxe nicht auf den Wert der Hand, sondern den Wert für den Unterarm abzustellen.

 

Verfahrensgang

LG Stendal (Urteil vom 22.12.2015; Aktenzeichen 23 O 57/15)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird - unter Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels - das Urteil des LG Stendal vom 22.12.2015 mit dem zugrunde liegenden Verfahren aufgehoben und die Sache an das LG Stendal zur weiteren Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

und beschlossen:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 50.285 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt von der Beklagten Kapitalinvaliditätsleistungen aus einer Unfallversicherung.

Nach vorangegangenem Antrag des Klägers auf Abschluss einer Familienversicherung übersandte ihm die Beklagte im Jahr 2002 einen entsprechenden Versicherungsschein über eine Familienversicherung, die für ihn auch einen Unfallversicherungsschutz beinhaltete. Zwischen den Parteien ist umstritten, ob der Sendung auch die damaligen AUB 2001 der Beklagten beigefügt waren.

Auf einen Änderungsantrag des Klägers vom 20.1.2005 (Bl. 85, 86 Bd. I d.A.) wurde ab Februar 2005 eine dynamische Unfallversicherung mit jährlichem Zuwachs von 5 % bei einer Invaliditätsgrundsumme von 40.000 EUR vereinbart, wobei auch insoweit umstritten ist, ob dem Kläger zusammen mit einem Ersatzversicherungsschein die AUB 2001 (Version 1/05) mit übersandt wurden.

Auf Grund eines weiteren formularmäßigen Änderungsantrages vom 11.3.2008 (Bl. 97, 98 Bd. I d.A.), in dem als Vertragsgrundlage auf die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (M. AUB 2008) verwiesen wird und in dem der Kläger auf Seite 2 schriftlich bestätigte, die Vertragsinformationen zur Unfallversicherung ausgehändigt erhalten zu haben (Bl. 98 Bd. II d.A.), fand eine Umstellung auf eine 500%ige Progression für das Invaliditätskapital sowie eine so genannte Komfortdeckung statt. Auch insoweit hat der Kläger in Abrede gestellt, die AUB 2008 erhalten zu haben.

Zum 1.8.2010 beantragte die Ehefrau des Klägers bei der Beklagten die Mitversicherung für die am 12.4.2010 geborene gemeinsame Tochter A..

Am 2.11.2012 erlitt der Kläger während seiner Arbeit einen Unfall, als er von der Ladefläche eines Lkw-Anhängers etwa 2 m in die Tiefe stürzte. Neben anderen Verletzungen trug er eine distale Radiustrümmerfraktur am linken Arm unter Beteiligung des Handgelenkes sowie eine Bandverletzung (zwischen Kahnbein und Mondbein der Handwurzel) davon. Auf Grund von Komplikationen im Heilungsverlauf wurde zunächst am 15.4.2013 das zuvor eingebrachte Osteosynthesematerial operativ am linken Handgelenk entfernt und im Rahmen einer weiteren Operation am 2.6.2013 eine Denervierung geschädigter Nerven sowie die Versteifung des linken Handgelenks vorgenommen.

Der als Sachverständiger von der Beklagten beauftragte Dr. D. stellte in seinem Gutachten vom 11.9.2014 (Bl. 16 - 27 Bd. I d.A.) als verbleibende Unfallfolgen fest:

1. Ein vollständiger Verlust der Beweglichkeit im linken Handgelenk infolge der erforderlich gewordenen Arthrodese-Operation,

2. belastungsabhängige Schmerzzustände im linken Handgelenk,

3. eine elektrisierende Berührungsempfindlichkeit über der linken Handwurzel,

4. eine Interaktivitätsosteoporose des linken Handgelenks und

5. drei reizlose oberflächliche Narben im Bereich des linken Handgelenks sowie

6. eine eingeschränkte Auswärtsbewegung im linken Unterarm

Diese Beeinträchtigungen schätzte Dr. D. als Invalidität mit 6/20 Handwert ein. Hierauf aufbauend bezifferte die Beklagte Invaliditätsansprüche des Klägers mit Schreiben vom 30.9.2014 (Bl. 29, 30 Bd. I d.A.) nach der Gliedertaxe und gelangte bei einem aufgerundeten Invaliditätsgrad von 17 % bezogen auf die Invaliditäts-Grundsumme von 44.500 EUR zu einem Betrag von insgesamt 7.565 EUR.

Der Kläger hat behauptet, keinerlei Fassungen der AUB von der Beklagten erhalten zu haben. Seiner Auffassung nach könnten deshalb die AUB der Beklagten - ganz gleich in welcher Version - nicht wirksam in das Vertragsverhältnis einbezogen worden sein. Im Rahmen einer ergänzenden Vertragsauslegung müsse man für eine Lückenschließung auf die Musterbedingungen des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft in der Fassung AUB 94/88 zurückgreifen, die - so die Behauptung des Klägers - zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Jahr 2002 von Versicherern teilweise auch noch für Neuverträge verwandt worden seien. Nach dieser ursprünglichen Fassung der AUB, in der sich bei der Gliedertaxe noch die Formulierung "Hand im Handgelenk" finde, sei nach der so genannten Gelenkrechtsprechung des BGH (vgl. Urteil vom 9.6.2003, Az.: IV ZR 74/02, zitiert nach juris) die vollständige Versteifung eines Handgelenks dem Verlust der gesamten Hand gleichzusetzen. Ausgehend von einem Invaliditätsgrad von ...

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