Leitsatz (amtlich)
1. Einer außerordentlichen Kündigung des ordentlich nicht kündbaren Anstellungsvertrages eines Vorstandes einer Anstalt öffentlichen Rechts steht nicht entgegen, dass die beleidigenden Äußerungen nicht gegen Organe der Anstalt, sondern gegen den Bürgermeister der die Anstalt betreibenden Kommune gerichtet waren.
2. Zu den wichtigen Gründen einer außerordentlichen Kündigung des Anstellungsverhältnisses eines Vorstands bei zahlreichen groben Beleidigungen.
3. Abwägung der Äußerungen mit dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung, wenn der Kläger auch Kenntnisse und Interna aus seinem Dienstverhältnis hierfür verwendet.
4. Die Fortsetzung eines Dienstverhältnisses ist dann nicht mehr zumutbar, wenn eine vertrauensvolle Zusammenarbeit und gegenseitige Loyalität aufgrund der Massivität der Beleidigungen nicht mehr aufgebaut werden kann.
5. Liegt ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung vor, bedarf es einer vorherigen Abmahnung des Organmitgliedes nicht.
Verfahrensgang
LG Halle (Saale) (Urteil vom 08.06.2018; Aktenzeichen 5 O 10/17) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 8. Juni 2018 verkündete Urteil des Landgerichts Halle abgeändert und die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 v.H. des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte Sicherheit in Höhe von 120 v.H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Die Parteien streiten um die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung des Geschäftsführer-Anstellungsvertrages des Klägers vom 27. Oktober 2011 mit der von der Beklagten errichteten Abwasserbetrieb A. Anstalt des öffentlichen Rechts (folgend: Abwasserbetrieb).
Der am 26. Juli 1957 geborene Kläger begehrt die Feststellung, dass die seitens der Beklagten erklärte fristlose Kündigung vom 21. Dezember 2016 nicht zur Beendigung des Dienstverhältnisses mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten, dem Abwasserbetrieb, geführt hat und daher mit der Beklagten fortbesteht. Darüber hinaus macht er seinen Anspruch auf Nutzung des dienstvertraglich überlassenen Kraftfahrzeugs geltend.
Die Beklagte gründete durch Beschluss ihres Stadtrates vom 25. August 2011 den Abwasserbetrieb. Die entsprechende Satzung des Abwasserbetriebes wurde im Amtsblatt des S. Kreises vom 1. September 2011 veröffentlicht (Anlage K 2, Bl. 14 bis 18 Bd. I d.A.).
§ 6 Abs. 2 und 5 der Satzung des Abwasserbetriebes regeln die Aufgaben des Vorstandes wie folgt:
"(2) Er entscheidet in allen Angelegenheiten eigenverantwortlich, die nicht unter den Zustimmungsvorbehalt des § 8 Abs. 3 dieser Satzung fallen oder in denen sich der Verwaltungsrat durch Beschluss im Einzelfall die Zustimmung vorbehalten hat. Der Vorstand vertritt die Anstalt gerichtlich und außergerichtlich...
(5) Der Vorstand ist zuständig für alle Beamten-, Personal- und arbeitsrechtlichen Entscheidungen nach Maßgabe des vom Verwaltungsrat genehmigten Wirtschaftsplanes und dem diesen beigefügten Stellenplan...."
Gemäß § 7 Abs. 2 der Satzung vertritt die Vorsitzende des Verwaltungsrates das Kommunalunternehmen gerichtlich und außergerichtlich gegenüber dem Vorstandsmitglied.
Der Kläger und der Abwasserbetrieb schlossen am 27. Oktober 2011 einen unbefristeten Anstellungsvertrag unter Ausschluss der ordentlichen Kündigung mit einer monatlichen Nettovergütung i.H.v. 4.000,00 EUR, einem Urlaubsgeld i.H.v. je 500,00 EUR, eine Weihnachtsgratifikation in Höhe von 61 v.H. netto des monatlichen Gehaltes sowie der Bereitstellung eines Firmenwagens, der auch zu privaten Zwecken benutzt werden durfte. Wegen des weiteren Inhalts des Anstellungsvertrages wird auf Anl. K1, Bl. 9-13 Bd. I d.A. Bezug genommen. Zuletzt betrug das Jahresgehalt des Klägers 86.000,00 EUR.
Am 10. Juli 2014 bestellte die Beklagte den Kläger zum sachkundigen Einwohner in den Finanzausschuss der Stadt L. (Anlage K 11, Bl. 79 Bd. I d.A.).
Die Beklagte bestellte den Kläger weiter mit Ernennungsurkunde vom 25. Juli 2015 ab dem 7. Juli 2015 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Zeit zum Ortsbürgermeister der Stadt L., Ortschaft Z. (Anlage K 10, Bl. 78 Bd. I d.A.).
Die Bürgermeisterin der Beklagten hob am 19. Juli 2016 eine auf den 21. Juli 2016 anberaumte Verwaltungsratssitzung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung auf. Mit Beschluss vom 21. Juli 2018 stellte das Verwaltungsgericht Halle fest, dass die Bürgermeisterin zu einer Aufhebung der Sitzung nicht befugt war.
Der Kläger schloss als Vorstand des Abwasserbetriebes mit drei Angestellten am 1. August 2016 Änderungsverträge zu deren bestehenden Arbeitsverträgen, wonach nunmehr die §§ 33 - 35 TVöD, Tarifgebiet West, Anwendung finden sollten, eine Abfindung für den Fall der arbeitgeberseitigen Kündigung in Höhe von einem Bruttomonatsgehalt vereinbart wurde und im Falle des Betriebsübergangs das Arbeitsverhältnis ordentlich für die Dauer von fünf Jahren unkündbar sein so...