Entscheidungsstichwort (Thema)

Kampfmittelräumung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Abgrenzung zwischen einer Änderung der Preisermittlungsgrundlagen i.S. von § 2 Abs. 5 VOB/B und bloßen Erschwernissen der ausgeschriebenen Leistungen.

Der öffentliche Auftraggeber kann das Risiko einer u.U. geringeren oder höheren Störkörperbelastung einer Räumparzelle dadurch zulässigerweise auf den Bieter verlagern, dass er Mengenkorridore für jede in Betracht kommende Belastungssituation ausschreibt.

Nimmt der Bieter trotz der Ausschreibung in Mengenkorridoren keine positionsbezogene Kalkulation, sondern eine Verbundkalkulation unter Berücksichtigung der oberen Kalkulationsgröße für den Vortrieb des Suchtrupps vor, so hat er das sich hieraus ergebende Vergütungsrisiko selbst zu tragen.

2. Der Ausgleich von Mindermengen nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B ist jeweils losweise vorzunehmen, auch wenn ein Auftragnehmer den Zuschlag im Vergabeverfahren auf mehrere Lose erhalten und seine Leistungen in einer einheitlichen Schlussrechnung abgerechnet hat.

 

Verfahrensgang

LG Magdeburg (Urteil vom 16.07.2018; Aktenzeichen 10 O 1176/15)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 14.12.2022; Aktenzeichen VII ZR 271/19)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 16. Juli 2018 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 10. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 12.021,19 EUR nebst Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 31. August 2015 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weiter gehende Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung der Klägerin werden jeweils zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen haben die Klägerin zu 98,7 % und die Beklagte zu 1,3 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldnerin kann die Zwangsvollstreckung durch die Vollstreckungsgläubigerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A. Die Klägerin begehrt von der Beklagten weiteren Werklohn für Kampfmittelräumungsarbeiten auf einem Truppenübungsplatz.

Die Beklagte betrieb seit dem Jahre 2003 auf dem Truppenübungsplatz A., einem über 9.000 Hektar großen und seit 1891 genutzten militärischen Übungsgelände im F., die schrittweise Kampfmittelräumung durch Fachunternehmen.

Im Herbst 2013 führte die Zentrale Vergabestelle des Landesbetriebes Bau- und Liegenschaftsmanagement Sachsen-Anhalt in Bundesauftragsverwaltung für die Beklagte (künftig verkürzt: die Beklagte) eine öffentliche Ausschreibung eines Tiefbauauftrags "Kampfmittelräumung Truppenübungsplatz A." (künftig: KMR) in vier Gebietslosen (Räumungsabschnitte J bis Q südlich R.) mit einer Zuschlagslimitierung von maximal zwei Losen je Bieter durch. Die Lose 3 und 4 waren mit einer Fläche von ca. 102,0 Hektar bzw. einer Fläche von ca. 76,9 Hektar die beiden umfangreichsten Teilaufträge. Die Allgemeine Leistungsbeschreibung enthielt unter Ziffer 2.2 (vgl. Anlage K 1.5, S. 11 f.) folgende Hinweise zur Störkörperbelastung der Räumstellen:

"Die Daten zur Störkörperbelastung wie auch zur Belastung mit Kampfmitteln etc. im Einzelnen entstammen i.W. der Testfelderkundung 2003. Zu beachten ist, dass die Vorerkundung nur auf ca. 0,3 % der jeweiligen Gesamtfläche (1 TF je Sektor) durchgeführt wurde. Weiterhin wurde auch die verdichtende Testfelderkundung aus dem Jahr 2008 zur Auswertung herangezogen.

Darüber hinaus ist unter Berücksichtigung der Historie des Platzes damit zu rechnen, dass auch in anderen als den bereits identifizierten Bereichen Trichter und/ oder mit Kampfmitteln verfüllte Hohlformen oder auch andere kampfmittelrelevante, bisher unbekannte Besonderheiten auftreten. ..."

Die Testfelderkundungen im Gebietslos 3 waren von der Beklagten in acht Sektoren vorgenommen worden. Zur Störkörperbelastung dieser Testflächen enthielt die Leistungsbeschreibung (ebenda, S. 12) folgende Angaben:

"Störpunkte (Stück)/m2 von 0,30 bis 2,0 im Mittel: 1,2 KM (Stück)/ 2.500 m2 keine KMT und -schrott zzgl. Zivilschrott (kg)/ 2.500 m2 von 43 bis 483 im Mittel: 299".

Die Flächen sollten systematisch und vollflächig mit passiven Sondensystemen bis zur Erreichung des Räumzieles in geeigneten Suchstufen, ggf. mehrfach, sondiert und sodann so beräumt werden, dass eine Störkörperfreiheit bis 0,4 m unter der Geländeoberkante erreicht wird. Die Abrechnung der Grundleistung sollte nach Stück Kampfmittel je Räumparzelle - KM (Stück) / 2.500 m2 - und Zulagenposition nach Masse Kampfmittelteile je Räumparzelle - KMT (kg) / 2.500 m2 - und jeweils abgestuft nach Belastungskategorien erfolgen (ebenda, S. 17).

Die Vergabeunterlagen enthielten für jedes Los gesonderte Leistungsansätze, welche bei der Bearbeitung des Angebotes beachtet werden sollten; für das Los 3 wurden nochmals die Vor...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge