Leitsatz (amtlich)
1. Der Betreiber eines Altenpflegeheimes hat aus dem Heimvertrag mit dem Heimbewohner Obhutspflichten zum Schutz dessen körperlicher Unversehrtheit.
2. Allein aus dem Umstand, dass der Heimbewohner im Bereich des Pflegeheimes gestürzt ist und sich dabei verletzt hat, kann nicht auf eine schuldhafte Pflichtverletzung des Heimpersonals geschlossen werden.
3. Die Beweislastregel des § 282 BGB a.F. (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB n.F.) ist in diesem Fall nicht anwendbar. Dem Krankenversicherer als Anspruchsteller kommt deshalb keine Beweiserleichterung in Gestalt einer Beweislastumkehr zugute. Ihm bleibt die Beweislast für eine schuldhafte Pflichtverletzung des Heimpersonals (Anschluss an BGHZ 163, 53 ff.).
Verfahrensgang
LG Halle (Saale) (Urteil vom 27.04.2006; Aktenzeichen 4 O 65/06) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 27.4.2006 verkündete Urteil des LG Halle (4 O 65/06) abgeändert und die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt aus übergegangenem Recht Schadensersatz wegen des Unfalls einer Altenheimbewohnerin.
Seit dem 1.2.1997 bewohnte die am 24.1.1906 geborene und bei der Klägerin krankenversicherte W. T. zur vollstationären Pflege und Betreuung das von dem A. Kreisverband H. e.V. (folgend: Kreisverband) betriebene Altenpflegeheim "L." in H., B. Straße 227. Sie erhielt auf der Grundlage der Berichte des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (folgend: MDK) vom 31.7.1997 (Anlage K 1) und 10.5.2000 (Anlage K 2) Leistungen nach der Pflegestufe II.
Am 13.11.2002 schlossen der Kreisverband und die Beklagte einen Vertrag (Bl. 56-58, II), dessen § 3b) lautet:
"Die A. gGmbH tritt in alle bestehenden Verträge ... ein und stellt die A. e.V. frei von jeglicher Haftung. Die eventuelle Zustimmung von Vertragspartnern wird von der A. gGmbH eingeholt."
Am 31.12.2002 wurde der bestehende Heimvertrag "vom 1.7.2002" von Frau T. gekündigt (Anlage B 9) und zwischen dem "A. Kreisverband H. e.V." und Frau T. ein "Bewohnervertrag" geschlossen (Anlage B 10), dessen § 1 Abs. 1 lautet:
"Aufnahme
Frau W.T. wird ab s. Vertrag vom 1.1.1998 in das
APH "L.", H., B. Straße 227 aufgenommen."
Am 24.9.2000 wurde Frau T. nach der Mittagsruhe von der dort tätigen Pflegekraft, der Zeugin M. O., aus dem Bett geholt und in einen Rollstuhl gesetzt. Frau T. stand aus dem Rollstuhl auf und fiel auf ihre Knie.
Die Klägerin hat vorgetragen, dass Frau T. in dem Moment aus dem Rollstuhl aufgestanden und gestürzt sei, als sich die Zeugin O. zwecks Öffnung der Zimmertür umgedreht habe. Frau T. habe bei dem Sturz einen Oberschenkelhalsbruch rechts erlitten, wodurch - mit der Klage geltend gemachte - Behandlungskosten von insgesamt 6.294,79 EUR entstanden seien, die sich aus Kosten für die in der Zeit vom 25.09. bis zum 10.10.2000 durchgeführte stationäre Behandlung (5.777,55 EUR), Krankentransporte (292,01 EUR), ambulante Behandlungen (114,53 EUR) und für sonstige Aufwendungen u.a. Physiotherapie (110,70 EUR) zusammensetzten. Frau T. sei zum Unfallzeitpunkt nicht gehfähig gewesen, so dass eine Sturzprophylaxe geboten gewesen wäre. Die Beklagte sei passivlegitimiert, da sie als Rechtsnachfolgerin des früheren Heimträgers für die Folgen des Unfallereignisses einzustehen habe.
Die Beklagte hat vorgetragen, Frau T. sei, obschon sie den Rollstuhl hiernach noch zeitweise genutzt habe, bereits im Jahre 1997 wieder gehfähig gewesen. Einer durchgehenden Beobachtung habe es daher nicht bedurft, zumal eine solche schon aus finanziellen Gründen nicht möglich gewesen sei. Der Unfall sei nicht vorhersehbar und nicht zu verhindern gewesen. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.
Hinsichtlich des Weiteren Vorbringens der Parteien in I. Instanz und der dort gestellten Anträge wird gem. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen (Bl. 126-128, II).
Das LG hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin M. O.. Wegen des Beweisergebnisses wird auf das Sitzungsprotokoll vom 16.3.2006 (Bl. 103-108, I) Bezug genommen.
Mit am 27.4.2006 verkündeten Urteil hat das LG Halle der Klage in vollem Umfange stattgegeben: Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch stehe der Klägerin als Versicherungsträgerin aus übergegangenem Recht gem. § 116 SGB X wegen des Unfallereignisses vom 24.9.2000 nach den Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung zu. Die Beklagte sei passivlegitimiert, da sie aufgrund eines dreiseitigen Vertrags in den zwischen dem Kreisverband und der Frau T. bestehenden Vertrag eingetreten sei. Die - aufgrund einer anzunehmenden Umkehr der Beweislast - insoweit darlegungs- und beweispflichtige Beklagte habe weder hinreichend dargetan noch bewiesen, dass die Heimleitung alles Zumutbare unternommen habe, um den Sturz zu verhindern. Es könne nicht festgestellt werden, dass sich der im Bericht des MDK vom 31.7.1997 beschriebene Zustand der Frau T. bis zum ...