Entscheidungsstichwort (Thema)

Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen

 

Leitsatz (amtlich)

Erholt das Gericht ein Glaubwürdigkeitsgutachten und zeigt dadurch, dass es sachkundiger Beratung bedarf, weicht im Urteil dann aber vom Ergebnis des Gutachtens ab, so bedarf es detaillierter und nachvollziehbarer Auseinandersetzung mit diesem Gutachten und auch der Darlegung, dass und woher das Gericht (nunmehr) hinreichende eigene Sachkunde besitzt. Dies gilt insbesondere in sogenannten "Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen".

 

Verfahrensgang

LG Nürnberg-Fürth (Entscheidung vom 17.05.2010)

 

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts N.-F. vom 17. Mai 2010 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts N.-F. zurückverwiesen.

 

Gründe

I. Das Amtsgericht E. verurteilte den Angeklagten am 17.6.2008 wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in elf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten.

Mit Urteil vom 17.5.2010 wurden die (auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte) Berufung der Staatsanwaltschaft und die Berufung des Angeklagten als unbegründet verworfen.

Die hiergegen gerichtete, auf Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit der Sachrüge Erfolg. Eines Eingehens auf die verfahrensrechtlichen Beanstandungen bedarf es daher nicht.

Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Dem Urteil des Landgerichts N.-F. lag eine sogenannte "Aussage-gegen-Aussage-Konstellation" zugrunde, bei der nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. BGH, NStZ 2000, 550; BGH, StraFo 2009, 71; BGH, StV 1995, 115; BGH, StV 1996, 249; und Darstellungen in: Maier NStZ 2005, 246; Deckers, StraFo 2010, 372; Schmandt, StraFo 2010, 446) besondere Anforderungen an Tatsachenfeststellung und (Darstellung der) Beweiswürdigung zu stellen sind.

1. Eine derartige "Aussage-gegen-Aussage-Konstellation" liegt vor, wenn der Schilderung eines vorgeworfenen Sachverhalts durch eine einzige Aussageperson eine im Kern bestreitende Darstellung oder das Schweigen des Angeklagten gegenübersteht, ohne dass ergänzend auf andere - unmittelbar tatbezogene - Beweismittel zurückgegriffen werden kann (vgl. Deckers, StraFo 2010, 372, 375). So liegt der Fall hier. Der Angeklagte bestreitet das ihm vorgeworfene strafbare Verhalten. Es existiert lediglich eine unmittelbare Tatzeugin, nämlich das Opfer. Weitere objektive Umstände, die deren Aussage stützen oder widerlegen, sind nicht vorhanden. Es konnten (infolge Zeitablaufs nachvollziehbar) keine Spuren, wie etwa Verletzungen o.Ä. festgestellt werden. Das erholte Glaubwürdigkeitsgutachten führte nicht zu einem eindeutigen Ergebnis aus Sicht der Sachverständigen.

Grundsätzlich ist es auch in diesen Fällen möglich, im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 261 StPO eine Verurteilung auf die Aussage des/der einen Belastungszeugen/-in zu stützen, auch wenn diesem/dieser nicht von vorneherein etwa wegen der Strafbewehrung einer Falschaussage (§§ 153 f. StGB) höheres Gewicht zukommt, als den Angaben des Angeklagten (vgl. BGHSt 44, 153; Deckers, StraFo 2010, 372, 376).

Es bedarf hierbei jedoch einer besonders sorgfältigen Darstellung der Sacherklärungen des Angeklagten, der Aussage des/der einzigen Belastungszeugen/-in, der wesentlichen Elemente zur Entstehungsgeschichte (insbesondere auch der Aussagekonstanz), den Motiven des Zeugen für eine eventuelle unrichtige Aussage und eine Auseinandersetzung mit diesen Umständen (vgl. neben obigen Fundstellen auch Schoreit in Karlsruher Kommentar zur StPO, § 261 Rdn. 29; Meyer/Goßner, StPO, 53. Aufl. § 261 Rdn. 11 a).

Erholt das Gericht ein Glaubwürdigkeitsgutachten und zeigt dadurch, dass es der besonderen Sachkunde eines Sachverständigen bedurfte, und weicht vom Ergebnis des Sachverständigen ab, so bedarf es der Darlegung der Ausführungen des Sachverständigen im Einzelnen und insbesondere eine Stellungnahme zu den Gesichtspunkten, auf welche der Tatrichter seine abweichende Auffassung stützen will (vgl. BGH, NStZ 2000, 550). Gleiches muss für den hier vorliegenden Fall gelten, in dem die Sachverständige eine Glaubwürdigkeit nicht aus Gutachtersicht bejahen konnte, andererseits auch die Unglaubwürdigkeit nicht positiv bestätigte. Auch in derartigen Fällen ist zwar eine Verurteilung möglich, jedoch ist die Entscheidung des Gerichts tragfähig und nachvollziehbar zu begründen, um zu belegen, dass das Gericht mit Recht ausreichendes Fachwissen für sich in Anspruch nimmt, nachdem es zuvor glaubte, sachverständiger Beratung zu bedürfen (vgl. BGH, StraFo 2009, 71 m.w.N.).

2. Diesen erhöhten Anforderungen an die Darlegungslast trägt das angefochtene Urteil nicht hinreichend Rechnung. Zwar dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden.

Ein Eingehen auch auf entfernter liegende Umstände, die auf die Beweiswürdigung Einfluss haben könnten, um den Eindruck scheinbarer, tatsäc...

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