Leitsatz (amtlich)
Jeder Elternteil ist auch in der Trennungszeit solange gleichrangiger und selbständiger Inhaber der elterlichen Sorge, bis das Familiengericht hierüber entschieden hat.
Normenkette
BGB §§ 1631, 7
Verfahrensgang
AG Regensburg (Beschluss vom 11.12.1996; Aktenzeichen 2 F 1273/96) |
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluß des Amtsgerichts – Familiengericht – Regensburg vom 11. Dezember 1996 aufgehoben und die Sache zur anderweiten Entscheidung über die Regelung der elterlichen Sorge an das Amtsgericht zurückverwiesen, auch zur Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
II. Der Antragstellerin wird Prozeßkostenhilfe für beide Instanzen gewährt und ihr Rechtsanwältin H., R., beigeordnet.
III. Der Beschwerdewert für das UF-Verfahren wird auf DM 5.000,00 festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Parteien, die seit 14.12.1990 miteinander verheiratet sind, hatten die eheliche Wohnung in N.. Am 24.10.1996 trennte sich die Antragstellerin vom Antragsgegner. Zusammen mit der gemeinsamen Tochter T., geb. 14.10.1994, zog sie nach R., wo sie im Frauenhaus Aufnahme fand.
Mit Antrag vom 25.11.1996 an das Familiengericht R. hat sie die Übertragung der elterlichen Sorge für die Dauer des Getrenntlebens auf sich und die Gewährung von Prozeßkostenhilfe für das Verfahren beantragt.
Das Familiengericht hat ohne Anhörung des Antragsgegners eine Sorgerechtsregelung abgelehnt und Prozeßkostenhilfe versagt. Zur Begründung ist im wesentlichen ausgeführt, das Verfahren sei wegen örtlicher Unzuständigkeit unzulässig, das Kind habe nach wie vor seinen Wohnsitz in N., weil ein Aufenthalt im Frauenhaus keinen Wohnsitz begründe, wenn dies aber angenommen werden sollte, habe sich die Antragstellerin die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts R. durch rechtswidriges Tun erschlichen.
Der Beschwerde hat das Familiengericht nicht abgeholfen.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Das Amtsgericht R. ist zur Entscheidung über das Sorgerecht örtlich zuständig, §§ 64, 43, 36 FGG, 621 I Nr. 1, II Satz 2, 621 a I ZPO, weil die Tochter T. der Parteien ihren Wohnsitz auch in R. hat.
Mit der Trennung der Eltern erlangt ein Kind einen von beiden Eltern abgeleiteten Doppelwohnsitz (BGH, FamRZ 84, 162). Ein Wohnsitz von T. ist bei dem Vater in N., ein anderer Wohnsitz bei der Mutter in R. (vgl. auch BGH, NJW 95, 1224).
Entgegen der Annahme des Erstgerichts ist nämlich durch den Aufenthalt der Antragstellerin mit der Tochter im R. Frauenhaus ein Wohnsitz begründet worden. Wohnsitz ist der Ort, an dem sich jemand als ständig mit der Absicht niederläßt, ihn zum Mittelpunkt seiner Lebensführung zu machen, § 7 BGB. Die Antragstellerin ist nach der Trennung von ihrem Ehemann im Frauenhaus in R. aufgenommen worden. Sie lebt jetzt seit Oktober 1996 dort, sie hat sich auch polizeilich in R. angemeldet. Damit hat die Antragstellerin ihren Willensentschluß, sich in R. niederzulassen und die Stadt zum Mittelpunkt ihren neuen Lebensführung zu machen, nach außen eindeutig erkennbar gemacht. Bedenken ergeben sich auch nicht daraus, daß die Antragstellerin in ein Frauenhaus gezogen ist. Mit den Frauenhäusern sind gerade für Frauen aus wirtschaflich beengten Verhältnissen und ohne finanzielle Rücklagen Möglichkeiten geschaffen worden, Trennungen durchzuführen. Zwar ist der Aufenthalt dort grundsätzlich zeitlich beschränkt, weil es sich um eine Einrichtung zur Selbsthilfe handelt. Aber so lange der Aufenthalt andauert ist das Frauenhaus der räumliche Schwerpunkt der gesamten Lebensverhältnisse der dort aufgenommenen Frauen (vgl. auch OLG Karlsruhe, FamRZ 95, 1210; OLG Nürnberg, 10 WF 3644/96 und 11 WF 1097/93).
Soweit der Familienrichter meint, die Antragstellerin habe sich die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts R. rechtswidrig erschlichen, indem sie durch die Trennung ohne Absprache das Aufenthaltsbestimmungsrecht des Antragsgegners, § 1631 BGB, für die Tochter verletzt habe, übersieht er, daß die Antragstellerin in Ausübung ihres Aufenthaltsbestimmungsrechts gehandelt hat. Jeder Elternteil ist gleichrangiger, selbständiger Inhaber der elterlichen Sorge, ein Entscheidungsrecht des Vaters gibt es nicht, BVerfGE 1059. Ihre Handlung ist nicht rechtswidrig, sondern Ausfluß des Partnerkonflikts der Parteien. Soweit die Ausübung der elterlichen Sorge durch diesen Elternkonflikt betroffen ist, ist die Regelung durch das Familiengericht, § 1672 BGB vorgesehen.
Nachdem bisher die Parteien noch nicht persönlich gehört worden sind und auch das Jugendamt am Verfahren noch nicht beteiligt worden ist, war der Senat an einer Entscheidung über die Regelung der elterlichen Sorge gehindert. Die Sache ist daher nach Gewährung von Prozeßkostenhilfe an den Familienrichter zurückverwiesen worden (vgl. Keidel/Kuntze/Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 13. Auflage, § 19 Rn. 115).
Fundstellen