Leitsatz (amtlich)
Der eigene angemessene Unterhalt des unterhaltspflichtigen geschiedenen Ehegatten (nachehelicher „billiger” Selbstbehalt i.S.d. § 1581 BGB) muß im Verhältnis zu dem geschiedenen anderen Ehegatten deutlich über dem notwendigen Unterhalt liegen, auch wenn der eheangemessene Unterhalt (§ 1578 Abs. 1 BGB) geringer als der notwendige Unterhalt war.
Normenkette
BGB §§ 1570, 1578 Abs. 1, § 1581
Verfahrensgang
AG Nürnberg (Urteil vom 26.07.1995; Aktenzeichen 6 F 335/94) |
Tenor
I. Dem Antragsgegner wird für seine beabsichtigte Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – Nürnberg (6 F 335/94) vom 26. Juli 1995 Prozeßkostenhilfe bewilligt, soweit er eine Herabsetzung des erstinstanzlich festgesetzten nachehelichen Unterhalts von monatlich 380 DM auf monatlich 230 DM geltend machen will.
II. Insoweit wird dem Antragsgegner Rechtsanwalt … beigeordnet.
III. Im übrigen wird sein Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe abgelehnt.
IV. Auf die Kosten des Gerichts und des ihm beigeordneten Rechtsanwalts hat der Antragsgegner ab 01.11.1995 Monatsraten in Höhe von 30 DM jeweils zum Monatsersten an die Oberjustizkasse Nürnberg zu bezahlen.
Tatbestand
I.
Von der Darstellung des Sachverhalts wird abgesehen.
Entscheidungsgründe
II.
Die beabsichtigte Berufung hat teilweise Erfolgsaussicht (§§ 114, 119 S. 1 ZPO).
Das erstgerichtlich festgestellte Einkommen des Antragsgegners von monatlich 1.849,50 DM netto (Krankengeld von kalendertäglich netto 60,64 DM × 30,5 Tage) und der Kindesunterhalt von monatlich 318,00 DM werden von den Parteien nicht angegriffen, so daß für die Ehegatten ein Betrag von monatlich insgesamt 1.531,50 DM (1.849,50 DM – 318 DM) verbleibt. Hiervon ist der dem Antragsgegner zu belassende Eigenbedarf abzuziehen, dessen Höhe streitig ist. Das Erstgericht hat ihn auf monatlich 1.150 DM beziffert und demzufolge 380 DM (1.531,50 DM – 1.150 DM, abgerundet) nachehelichen Unterhalt zugesprochen. Der Antragsgegner weist zu Recht darauf hin, daß dieser Selbstbehalt für einen nicht erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen zwar gegenüber einer nur getrenntlebenden Ehefrau ausreiche, nicht aber gegenüber einer von ihm bereits rechtskräftig geschiedenen früheren Ehefrau.
Der Bundesgerichtshof hält es aus Rechtsgründen nicht für vertretbar, einem unterhaltspflichtigen geschiedenen Ehemann im Verhältnis zu seiner geschiedenen Ehefrau, deren Existenzminimum nicht gesichert ist, regelmäßig nur den notwendigen Selbstbehalt zu belassen (BGH FamRZ 1990, 260, 265). Hierdurch würde die geschiedene Ehefrau entgegen § 1581 BGB mit minderjährigen Kindern gleichgestellt, die wegen ihres Alters von vornherein keine Möglichkeit haben, ihren Lebensbedarf durch eigene Anstrengungen selbst zu decken. Demgegenüber können Erwachsene grundsätzlich durch eigene Anstrengungen zur Deckung ihres notwendigen Lebensbedarfs selbst beitragen, auch wenn sie aus Gesundheits-, Alters- oder sonstigen Gründen (z.B. Betreuung eines Kindes) eigentlich auf vollen Unterhalt angewiesen sind.
Der vom BGH (a.a.O.) erwogene Ausnahmefall, daß eine geschiedene Ehefrau aus besonderen Gründen ähnlich hilfslos und bedürftig sein könne wie ein minderjähriges Kind, so daß § 1581 BGB einer Haftung des Ehemannes bis zur Grenze des eigenen notwendigen Selbstbehalts ausnahmsweise nicht entgegenstünde, liegt hier nicht vor. Die Antragstellerin hat zumindest keine dementsprechenden Tatsachen vorgetragen. Es kann auch dahingestellt bleiben, ob die Betreuung eines Kleinkindes, das noch nicht das Kindergartenalter von 3 Jahren oder das schulpflichtige Alter von 6 Jahren erreicht hat, einen solchen Ausnahmefall darstellen könnte, wie die Leitlinien des OLG München (FamRZ 1992, 648, 651, Nr. 4.1. f) dies vorsehen (vgl. Schwab, Scheidungsrecht, 3. Aufl. 1995, Teil IV, Rn. 1097). Denn das am 06.03.1987 geborene gemeinsame Kind der Parteien war zu Beginn des Unterhaltszeitraums (am 01.05.1995) entgegen der erstgerichtlichen Berechnung nicht erst 6 Jahre, sondern bereits 8 Jahre alt, so daß seine Betreuung der Antragstellerin die Aufnahme einer Teilzeitarbeit nicht mehr unzumutbar gemacht hat.
Da es nicht vertretbar ist, dem Antragsgegner im Verhältnis zu seiner geschiedenen Ehefrau nur den notwendigen Selbstbehalt von monatlich 1.150 DM zu belassen (vgl. BGH a.a.O.), ist ihm ein höherer Betrag als angemessener Eigenbedarf zuzugestehen, den der Senat im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung der ehelichen Lebensverhältnisse der Parteien auf monatlich 1.300 DM veranschlagt (vgl. hierzu die Rechtsprechungsübersicht bei Kalthoener/Büttner, Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 5. Aufl. 1993, Rn. 52).
Der teilweise vertretenen Ansicht, für eine Erhöhung des notwendigen Selbstbehalts auf den nach § 1581 BGB festzusetzenden „billigen Selbstbehalt” (Selbstbehalt nach Billigkeit) sei kein Raum, wenn der eheangemessene Unterhalt –wie hiergeringer als der notwendige Unterhalt war (so Göppinger/Kodel, Unterhaltsrecht, 6. Aufl. 1994, Rn. 1579, 1580; Graba, FamRZ 1992, 541, 54...