Leitsatz (amtlich)
Der gewöhnliche Aufenthalt eines Kindes wechselt nicht zwischen zwei Vertragsstaaten hin und her, wenn ein Elternteil dem anderen in einem anderen Vertragsstaat großzügig Umgang gewährt und das Kind während dieser Umgangszeiten sozial, familiär und sprachlich gut integriert ist. Bei einem vorübergehend alternierenden Aufenthalt verbleibt der gewöhnliche Aufenthalt dort, wo er sich bei Beginn des Alternierens befand, es sei denn, dass im Ausnahmefall besondere Gründe dafürsprechen, dem Aufenthalt trotz seiner nur vorübergehenden Anlage den Charakter eines gewöhnlichen Aufenthalts zuzusprechen.
Normenkette
HKÜ Art. 3, 12 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 lit. b)
Verfahrensgang
AG Nürnberg (Aktenzeichen 103 F 3600/23) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg - Abteilung für Familiensachen - vom 19.12.2023, Az.: 103 F 3600/23, aufgehoben.
2. Dem Antragsgegner wird Gelegenheit gegeben, die Kinder K... S..., geb. am ...2017, und P... S..., geb. am ...2018, bis zum 31.03.2024 nach Polen zurückzuführen.
3. Führt der Antragsgegner die Kinder nicht bis zum 31.03.2024 nach Polen zurück, ist er und jede andere Person, bei der sich die Kinder aufhalten, verpflichtet, die Kinder K... S..., geb. am ...2017, und P... S..., geb. am ...2018, an die Antragstellerin oder eine von dieser bestimmten Person zum Zwecke der Rückführung nach Polen herauszugeben.
4. Der Antragsgegner wird darauf hingewiesen, dass gegen ihn im Falle der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung nach Ziff. 3 dieses Beschlusses ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 25.000 Euro sowie Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angeordnet werden kann.
5. Zum Vollzug von Ziff. 3 (Herausgabe) wird ferner angeordnet:
a) Der Gerichtsvollzieher wird beauftragt und ermächtigt, die in Ziff. 2 genannten Kinder dem Antragsgegner oder jeder anderen Person, bei der sie sich aufhalten, wegzunehmen und sie der Antragstellerin oder einer von ihr bestimmten Person zu übergeben.
b) Der Gerichtsvollzieher wird beauftragt und ermächtigt, zur Durchsetzung der Herausgabe der Kinder unmittelbaren Zwang gegen den Antragsgegner oder jede andere auf Grund dieses Beschlusses herausgabepflichtige Person und erforderlichenfalls nach § 90 Abs. 2 FamFG auch gegen die Kinder anzuwenden.
c) Der Gerichtsvollzieher wird beauftragt und ermächtigt, zur Durchsetzung des vorliegenden Beschlusses die Wohnung des Antragsgegners und die Wohnung jeder anderen Person, bei der sich die Kinder aufhalten, zu betreten und zu durchsuchen.
d) Der Gerichtsvollzieher wird ermächtigt, die vorgenannten Vollstreckungsmaßnahmen auch zur Nachtzeit sowie an Sonn- und Feiertagen vorzunehmen.
e) Der Gerichtsvollzieher wird ermächtigt, zur Durchsetzung der Anordnungen in diesem Beschluss im Bedarfsfall die Unterstützung der Polizei in Anspruch zu nehmen.
6. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten erster und zweiter Instanz findet nicht statt. Die Gerichtskosten der ersten und zweiten Instanz tragen die Antragstellerin und der Antragsgegner je zur Hälfte.
7. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde der Antragstellerin richtet sich gegen eine abschlägige Entscheidung über die Rückführung ihrer Kinder nach Polen auf der Grundlage des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ) durch das Amtsgericht Nürnberg.
I. Die Antragstellerin und der Antragsgegner sind die Eltern der Kinder K... S..., geb. ...2017, und P... S..., geb. ...2018. Sie haben im Dezember 2016 in Polen geheiratet, gemeinsam in K... (Polen) gelebt. Ende November 2019 trennte sich das Paar, der Antragsgegner beantragte 2020 die Scheidung. Der Antragsgegner hat im Jahr 2019 eine Berufstätigkeit in Deutschland aufgenommen und hat seinen Wohnsitz im Laufe desselben Jahres nach Deutschland verlegt.
Im Rahmen des beim Bezirksgericht K... geführten Scheidungsverfahrens wurde der Antragsgegner durch Beschluss des Bezirksgerichts K... vom 21.05.2021 verpflichtet, für die Dauer des Verfahrens Unterhalt für die beiden Kinder zu Händen der Mutter zu zahlen. Dieser Verpflichtung kam der Antragsgegner auch bis Juli 2023 nach. Durch Beschluss des Bezirksgerichts K... vom 20. Dezember 2021 wurde der Umgang des Antragsgegners mit den Kindern für den Zeitraum des Scheidungsverfahrens dahingehend geregelt, dass der Umgang über Fernkommunikationsgeräte (telefonisch) an jedem zweiten Wochentag von 17.00 bis 18.00 Uhr stattfindet und darüber hinaus dreimal im Jahr für einen Monat, d.h. während der Winterferien, in den Sommerferien (Juli oder August), im Oktober oder November, wobei dies von den Parteien mindestens einen Monat vor dem geplanten monatlichen Zeitraum zu vereinbaren war. Der Weihnachtsumgang des Vaters sollte am 24. Dezember von 10.00 bis 17.00 Uhr, vom 25. Dezember 18.00 Uhr bis zum 26, Dezember 12.00 Uhr stattfinden.
Durch Urteil des Bezirksgerichts K... vom 1. Dezember 2022 wurde die Ehe geschieden. In dem vorgenannt...