Leitsatz (amtlich)
Die Zwangsvollstreckung aus einem – nicht erschlichenen – Vollstreckungsbescheid über einen Rückzahlungsanspruch aus einem nach heutiger Beurteilung wucherischen Darlehen ist unzulässig, wenn der Schuldner die Nettokreditsumme, die halbe Restschuldversicherungsprämie, das Doppelte der marktüblichen Kreditkosten und angemessene Verzugszinsen bezahlt hat.
Normenkette
BGB § 138 Abs. 2, § 826
Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Beschluss vom 20.10.2001; Aktenzeichen 10 O 7793/01) |
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des LG Nürnberg-Fürth vom 20.10.2001 teilweise abgeändert.
II. Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit er mit der beabsichtigten Klage Unterlassung der weiteren Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid des AG … vom 3.3.1978 (Az. …) sowie die Herausgabe dieses Titels begehrt.
III. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen;
IV. Eine Gebühr für das Beschwerdeverfahren wird nicht erhoben.
Gründe
Die Beschwerde des Antragstellers ist teilweise begründet; soweit er die Unterlassung der weiteren Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid des AG … vom 3.3.1978 und die Herausgabe dieses Vollstreckungstitels begehrt, besteht eine hinreichende Erfolgsaussicht für die beabsichtigte Klage, § 114 ZPO.
1. Das LG hat zutreffend dargelegt, dass eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung i.S.d. § 826 BGB nicht mit der Begründung bejaht werden kann, die Rechtsvorgängerin der Antragsgegnerin habe den Vollstreckungsbescheid erschlichen. Ein Vollstreckungsbescheid kann durch eine Klage nach § 826 BGB rückwirkend vernichtet werden, wenn (1.) der darin festgestellte Anspruch nach dem jetzigen Stand der Rechtsprechung materiell unrichtig festgestellt wurde, (2.) der Kreditgeber diese Unrichtigkeit (jetzt) kennt, und (3.) besondere objektive Umstände dafür sprechen, dass der Titel erreicht wurde, um eine gerichtliche Korrektur der Forderung zu umgehen (Reifner, Handbuch des Kreditrechts, § 46 Rz. 20 m.w.N.). Zwar ist nach jetzigen Maßstäben der effektive Jahreszins von 22,67 % des Ratenkredits sittenwidrig, weil er den marküblichen Effektivzins um rund 100 % übersteigt. Nachdem aber zum Zeitpunkt der Beantragung des Vollstreckungsbescheids nach der damaligen Rechtsprechung des BGH (NJW 1979, 805) die Grenze des Wuchers bei einem Zinssatz von über 30 % lag, kann der Rechtsvorgängerin der Antragsgegnerin der Vorwurf nicht gemacht werden, sie habe im Wege des Mahnverfahrens eine richterliche Schlüssigkeitskontrolle umgangen. Erst nach dem Bekanntwerden der Entscheidungen des BGH vom 29.6.1979 (NJW 1999, 2089) war erkennbar, dass der Schwerpunktzins für Ratenkredite der Bundesbank-Statistik als Vergleichsmaßstab für die Beurteilung, ob § 138 Abs. 2 BGB verletzt ist, heranzuziehen ist.
2. Auch wenn eine sittenwidrige Titelerwirkung nicht vorliegt, ist zu prüfen, ob aus dem Vollstreckungsbescheid dennoch in sittenwidriger Weise vollstreckt wird. In besonderen Ausnahmefällen kann die Ausnützung eines solchen Titels sittenwidrig sein, nämlich wenn die weitere Vollstreckung mit dem Gerechtigkeitsempfinden schlechthin nicht mehr zu vereinbaren ist.
Nach heutiger Rechtsauffassung haben Kreditverträge, deren Vertragszins den Marktzins um etwa 100 % übersteigt, wucherähnlichen Charakter. Liegt ein solcher Fall vor und ist der Vollstreckungsbescheid nur deshalb hinzunehmen, weil wegen des Zeitpunktes seine Erwirkung kein vorsätzliches Handeln der verantwortlichen Bank festgestellt werden kann, wäre es dennoch mit dem Gebot der Gerechtigkeit schlechthin nicht zu vereinbaren, wenn aus diesem Titel auch unter geänderter Rechtsauffassung mit der Folge ständig weiter vollstreckt werden könnte, dass insbesondere einkommensschwache Schuldner möglicherweise noch jahre- oder jahrzehntelang mit Zwangsvollstreckungsmaßnahmen überzogen werden, die dazu dienen, nach heute gefestigter Auffassung ungerechtfertigte Forderungen von Kreditinstituten einzutreiben (OLG Düsseldorf v. 21.4.1987 – 6 W 21/87, MDR 1987, 760 = NJW-RR 1987, 938 [940]; OLG Frankfurt NJW 1996, 110).
Um einen derartigen Fall handelt es sich hier. Der Antragsteller hat auf den Vollstreckungstitel über 8.909,87 DM, der aus einer Kreditaufnahme von 6.505,87 DM resultierte mehr als 30.000 DM bezahlt. Nach der Stellungnahme der Sozial- und Lebensberatungsstelle des Diakonischen Werkes Pfalz lebt der Antragsteller wegen hoher Gesamtverbindlichkeiten mit seiner Familie seit Jahren unterhalb des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums. Zwar gibt es bisher keine höchstrichterliche Entscheidung, die für die Erfüllung von titulierten Wucherdarlehen eine absolute Höchstgrenze der vollstreckbaren Summe festlegt. Das OLG Frankfurt sieht diese in dem Doppelten des Darlehenskapitals (OLG Frankfurt v. 2.12.1986 – 2 W 61/86, WM 1987, 303), das OLG Düsseldorf im Regelfall, wenn die Ratenkreditbank bereits die Nettokreditsumme, die halbe Restschuldversicherungsprämie, das Doppelte der marktüblichen Kreditkosten (ein...