Leitsatz (amtlich)

Der Streitwert für das selbständige Beweisverfahren ist nach Einholung des Sachverständigengutachtens bezogen auf den Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung und das Interesse des Antragstellers festzusetzen. Eine durch den Antragsteller bei der Antragstellung vorgenommene Schätzung ist weder bindend noch maßgeblich. Dies gilt auch dann, wenn er - ohne sich bei der Antragsschrift auf einen bestimmten Reparaturweg festgelegt zu haben - ergänzende Fragen an den Sachverständigen zu Mangelbeseitigungsmaßnahmen stellt und der Sachverständige diese Maßnahmen nicht für erforderlich hält.

 

Normenkette

GKG §§ 61, 68; ZPO § 485 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Nürnberg-Fürth (Aktenzeichen 17 OH 2466/21)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 14.10.2022, Az. 17 OH 2466/21, abgeändert:

Der Streitwert für das selbständige Beweisverfahren des Landgerichts Nürnberg-Fürth,

Az. 17 OH 2466/21, wird festgesetzt auf 10.000,00 EUR.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin greift mit ihrer Beschwerde die Streitwertfestsetzung des Landgerichts an.

Die Antragstellerin hat in der Antragsschrift vom 26.04.2021 Beweiserhebung zu behaupteten Mängeln am Dach ihres Einfamilienhauses beantragt. Als Mangelsymptom wurden Ablaufspuren unterhalb des Traufpunkts behauptet. Der Antrag ist damit begründet worden, dass der Antragsgegner am 29.10.2013 ein Schiedsgutachten erstellt habe, in dem er Mängel am Dach festgestellt habe. Im Jahr 2014 sei daraufhin die gesamte Dachkonstruktion erneuert worden, der Antragsgegner habe die Mängelbeseitigung im Auftrag der Antragstellerin überwacht. Im Jahr 2020 hätten sich wieder Ablaufspuren gezeigt. Die Mängelbeseitigungskosten hat die Antragstellerin in der Antragsschrift mit 10.000,00 EUR angegeben (Bl. 6 d. A.). Der Antragsschrift waren Anlagen AS1 bis AS6 beigefügt. Bei der Anlage AS1 handelt es sich um das Schiedsgutachten des Antragsgegners. Auf Seite 30 hat er den Kostenaufwand "um den Parteien einen Anhalt für die zu erwartenden Kosten zu geben ... in einer einstweilen grob geschätzten Größenordnung ohne Verbindlichkeit mit 35.000,00 EUR brutto" beziffert. In dem als Anlage AS5 vorgelegten Anwaltsschreiben vom 19.03.2021 hat die Antragstellerin den geschätzten Kostenaufwand für die Dachsanierung mit ca. 30.000,00 EUR beziffert.

Der vom Gericht beauftragte Sachverständige H. hat die Mangelbehauptung der Antragstellerin bestätigt und den erforderlichen Mangelbeseitigungsaufwand in seinem Gutachten vom 13.04.2021 mit gerundet 10.000,00 EUR beziffert.

Mit Schriftsatz vom 28.06.2022 (Bl. 74/75) hat die Antragstellerin ausgeführt, dass in dem Gutachten keine Angaben zu den Kosten des Austauschs der nassen Dämmung enthalten seien und den Sachverständigen gefragt, auf welchen Betrag sich die Kosten des Austauschs der nassen Dämmung beliefen. In der 1. Ergänzung zum Gutachten vom 01.08.2022 hat der Sachverständige im Ergebnis ausgeführt, dass keine Kosten für den Austausch der nassen Dämmung angesetzt worden seien, weil er davon ausgehe, dass nach einer fachgerechten Instandsetzung der Dampfsperre/Luftsperre im Winterhalbjahr keine Auffeuchtungsvorgänge über Konvektion mehr stattfänden und die Konstruktion in den Sommermonaten vollständig rücktrockne, da die Oberseite der Wärmedämmung mit einer diffusionsoffenen Unterdeckbahn abgedeckt sei und darüber eine Gefachbelüftung vorgesehen sei.

Das Landgericht hat den Streitwert auf 30.000,00 EUR festgesetzt. Der Streitwertbeschwerde der Antragstellerin, mit der eine Streitwertfestsetzung auf 10.000,00 EUR beantragt worden ist, hat das Landgericht mit Beschluss vom 09.01.2023 nicht abgeholfen.

II. Die zulässige Streitwertbeschwerde der Antragstellerin hat auch in der Sache Erfolg.

1. Der Streitwert des selbständigen Beweisverfahrens ist nach dem vollen Hauptsachewert zu bemessen. Dabei ist der vom Antragsteller bei Verfahrenseinleitung geschätzte Wert (§ 61 GKG) weder bindend noch maßgeblich; das Gericht hat nach Einholung des Gutachtens den "richtigen" Hauptsachewert, bezogen auf den Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung und das Interesse des Antragstellers, festzusetzen (BGH, Beschluss vom 16.09.2004 - III ZB 33/04 -, Rn. 14, 18, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 06.02.2018 - 1 W 35/18 -, Rn. 5, juris; OLG München, Beschluss vom 02.01.2020 - 20 W 1569/19 -, Rn. 7, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 04.02.2015 - 10 W 3/15 -, Rn. 19, juris; OLG Celle, Beschluss vom 02.09.2014 - 4 W 127/14 -, Rn. 3, juris). Ergibt sich also im Laufe des selbständigen Beweisverfahrens aus einem vom Gericht eingeholten Sachverständigengutachten, dass der vom Antragsteller bei Verfahrenseinleitung geschätzte Wert (§ 61 GKG) nicht zutrifft, so sind die Feststellungen des Sachverständigen für die Wertfestsetzung maßgebend (vgl. BGH, Beschluss vom 20.04.2005 - XII ZR 92/02 -, Rn. 9, juris).

2. Ausgehend vom Vorstehenden ist vorliegend der Streitwert entsprechend dem Antrag der Antragstellerin auf 10.000,00 EUR festzusetzen. Dass in dem ...

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