Leitsatz (amtlich)

Ein Sachverständiger kann wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn er für sein Gutachten einen bestimmten Geschehensablauf als praktisch ausgeschlossen behandelt, obwohl ihm das Gericht eigens aufgegeben hat, bei seiner gutachtlichen Stellungnahme von einer diesen Geschehensablauf bestätigenden Zeugenaussage auszugehen.

 

Normenkette

ZPO § 406 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Regensburg (Beschluss vom 10.01.2005; Aktenzeichen 3 O 2260/00)

 

Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des LG Regensburg vom 10.1.2005 abgeändert.

II. Die Ablehnung des Sachverständigen Prof. Dr. T. wegen der Besorgnis der Befangenheit wird für begründet erklärt.

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt im vorliegenden, am 23.10.2000 begonnenen Verfahren als Rechtsnachfolgerin ihres im Lauf des Rechtsstreits verstorbenen Vaters Schadensersatz, weil der Beklagte ihrer Meinung nach am 7.2.1999 als diensthabender Notarzt aufgrund unzureichender Untersuchung ihres über stärkste Kopfschmerzen klagenden Vaters ein Aneurysma der Gehirngrundschlagader übersehen habe. Am Folgetag sei es deshalb zu massiven Gehirnblutungen gekommen.

Das LG hörte am 25.10.2001 die Ehefrau des damaligen Klägers im Beisein des Sachverständigen als Zeugin zum Ablauf des fraglichen Arzttermins vom 7.2.1999 an. Dabei antwortete die Zeugin auf entsprechende Fragen des Sachverständigen ausweislich der Sitzungsniederschrift: "Die Kopfbeweglichkeit hat Herr W. nicht getestet."

Mit Beschl. v. 8.11.2001 ordnete das LG sodann die Erholung eines schriftlichen Gutachtens zu der Frage an, ob der Beklagte den damaligen Kläger aufgrund des sich ihm bietenden Symptombildes in eine Klinik einweisen hätte müssen. Zugleich wurde dem Sachverständigen aufgegeben in seinem Gutachten von den Angaben der Zeugin L. auszugehen.

Gleichwohl führte der Sachverständige in seinem Gutachten vom 2.3.2002 zunächst aus: "Strittig ist, ob die Nackenbeweglichkeit (Meningismus) geprüft worden ist." Später heißt es dann im Gutachten: "In der Situation eines Patienten mit starken Kopfschmerzen, ist die Suche nach einem erhöhten Blutdruck,... und ... die Abklärung einer Nackensteife - so fundamental, dass man davon ausgehen muss, dass sie in einer standardisierten Untersuchung quasi automatisch durchgeführt werden. ". Dies ist mit Sicherheit jedem praktizierenden Arzt, der bei Notfallversorgung tätig wird, bekannt."

Nach Eingang des Gutachtens forderte das LG die Parteien auf, etwaige Einwendungen gegen das Gutachten bis spätestens 8. April vorzubringen. Mit Schriftsatz vom 4.4.2002, eingegangen am 5.4.2002, lehnte der damalige Kläger daraufhin den Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung machte er vor allem geltend, der Sachverständige setze sich mit seinem schriftlichen Gutachten in Widerspruch zu seinen mündlichen Äußerungen am Ende des Termins vom 25.10.2001. Damals habe er gesagt, wenn er seinem Gutachten die Aussage der Zeugin L. zugrundelege, müsse er von einem Behandlungsfehler ausgehen. Obwohl das Gericht ihm ausdrücklich aufgegeben habe, von der Aussage der Zeugin L. auszugehen, komme er nun im schriftlichen Gutachten zu dem Ergebnis, eine Sorgfaltswidrigkeit liege nicht vor. Auch nehme der Sachverständige unzulässigerweise eine rechtliche Würdigung vor, wenn er trotz der Aussage der Zeugin L. die Frage als strittig behandle, ob der Beklagte die Nackenbeweglichkeit untersucht habe.

Der Sachverständige nahm zu dem Ablehnungsgesuch mit Schreiben vom 10.4.2002 wie folgt Stellung: "Ich ... halte es für unsinnig, auf die verschiedenen Vorwürfe der Rechtsanwälte K. einzugehen. Insbesondere ist mir nicht erinnerlich, dass ich mich bereits in der Verhandlung vom 25.10.2001 hinsichtlich der Ergebnisse meines Gutachtens geäußert haben soll." Dabei übersah der Sachverständige offensichtlich, dass er sich bereits mit Schreiben vom 13.3.2001 zu einem vor-prozessual eingeholten Gutachten ggü. dem LG Regensburg wie folgt geäußert hatte: "Auf S. 9 des Gutachtens von Herrn Prof. G. führt dieser aus: "Wenn man die Aussage der Ehefrau als absolut gegeben ansieht, muss man - einen eindeutigen Behandlungsfehler ... annehmen."... Dieser Meinung kann ich mich nach Durchsicht der Akten voll anschließen."

Mit Beschl. v. 10.1.2005, auf den Bezug genommen wird, wies das LG das Ablehnungsgesuch zurück. Aus der Aussage im Gutachten, es sei streitig, ob die Nackenbeweglichkeit vom Beklagten geprüft worden sei, ergebe sich keine Voreingenommenheit des Sachverständigen. Gegen diesen am 19.1.2005 zugestellten Beschluss legt die Klägerin am 31.1.2005 sofortige Beschwerde ein, der das LG mit Beschl. v. 20.4.2006 nicht abhalf.

II. Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist zulässig (§ 406 Abs. 5, §§ 567 ff. ZPO) und hat auch in der Sache Erfolg.

1. Das Ablehnungsgesuch ist rechtzeitig gestellt, weil es innerhalb der vom Gericht gesetzten Äußerungsfrist eingegangen ist.

Ergibt sich der Ablehnungsgrund erst aus dem Inhalt des Gutachtens, so ist er unverzüglich, d.h....

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