Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Anscheinsbeweis für Kartellbefangenheit und Schadenseintritt bei Konditionenkartell
Leitsatz (amtlich)
1. Aus der Tatsache, dass ein praktizierter Informationsaustausch der beteiligten Unternehmen zum Stand und Inhalt von Konditionsverhandlungen mit bestimmten Handelspartnern eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung i.S.v. § 1 GWB darstellt, kann nicht automatisch geschlossen werden, dass eine Typizität des Sachverhalts oder - auf gesicherter Basis - eine Lebenserfahrung dahingehend besteht, dass der Wettbewerb hinsichtlich der jeweiligen konkreten Einzelprodukte mit sehr großer Wahrscheinlichkeit durch diesen Kartellverstoß ausgeschlossen oder eingeschränkt wurde.
2. Das europarechtliche Gebot der praktischen Wirksamkeit ("effet utile") verpflichtet es bei einem Informationsaustausch zwischen Kartellanten nicht zur Anwendung des Anscheinsbeweises. Vielmehr kann das Gebot auch über eine tatsächliche Vermutung - dass Aufträge, die sachlich, zeitlich und räumlich in den Bereich der Absprachen fallen, von diesen erfasst werden und damit kartellbefangen sind - gewährleistet werden.
Normenkette
GWB § 1; ZPO § 522 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 16.08.2018, Aktenzeichen 19 O 9571/14, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1. genannte Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils gegen sie vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 350.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 16.08.2018 und auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 08.07.2019 Bezug genommen.
Im Berufungsverfahren beantragt die Klägerin, unter Abänderung des (klageabweisenden) Urteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 16.08.2018:
I. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin die der Klägerin und/oder der G... R... Stiftung & Co. Lebensmittelfilialbetrieb KG aus eigenem und abgetretenem Recht aufgrund Warenbezügen der Beklagten in den Jahren 2005 bis 2010 entstandenen Schäden einschließlich des der Klägerin oder G... R... Stiftung & Co. Lebensmittelfilialbetrieb KG entgangenen Gewinns jeweils einschließlich der Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz ab Eintritt des jeweiligen Schadens zu ersetzen, die auf dem Sachverhalt beruhen, der Gegenstand des Bußgeldverfahrens beim Bundeskartellamt mit dem Aktenzeichen B11-12/08 war, insbesondere in Form des Bußgeldbescheides des Bundeskartellamtes gegenüber der Beklagten zu 5) vom 22.03.2013, wie als Anlage K 20 vorgelegt, sowie des Aktenauszuges aus der Bußgeldakte des Bundeskartellamtes, wie er mit Protokoll der Kammer vom 13.07.2017 übermittelt worden ist, insbesondere darauf, dass die Beklagten Informationen ausgetauscht haben, oder die auf anderen kartellrechtswidrigen Vereinbarungen und/oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen der Beklagten beruhen.
Hilfsweise:
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin die der Klägerin und/oder der G... R... Stiftung & Co. Lebensmittelfilialbetrieb KG aus eigenem und abgetretenem Recht aufgrund Warenbezügen der Beklagten in den Jahren 2005 bis 2010, wie sie im Schriftsatz der Klägerin vom 13.11.2017 auf Seiten 9 bis 89 und im Schriftsatz vom 30.06.2015 dargestellt worden sind, entstandenen Schäden einschließlich des der Klägerin oder G... R... Stiftung & Co. Lebensmittelfilialbetrieb KG entgangenen Gewinns jeweils einschließlich der Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz ab Eintritt des jeweiligen Schadens zu ersetzen, die auf dem Sachverhalt beruhen, der Gegenstand des Bußgeldverfahrens beim Bundeskartellamt mit dem Aktenzeichen B11-12/08 war, insbesondere in Form des Bußgeldbescheides des Bundeskartellamtes gegenüber der Beklagten zu 5) vom 22.03.2013, wie als Anlage K 20 vorgelegt, sowie des Aktenauszuges aus der Bußgeldakte des Bundeskartellamtes, wie er mit Protokoll der Kammer vom 13.07.2017 übermittelt worden ist, insbesondere darauf, dass die Beklagten Informationen ausgetauscht haben, oder die auf anderen kartellrechtswidrigen Vereinbarungen und/oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen der Beklagten beruhen.
II. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 4.200,80 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 P...