Leitsatz (amtlich)
Bei der mündlichen Anhörung eines Sachverständigen in einem selbständigen Beweisverfahren entsteht in der Regel keine Erörterungsgebühr gem. § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO, soweit nicht auf den Abschluss eines Vergleichs gerichtete Erörterungen stattfinden.
Insbesondere stellen - auch kontroverse - Ausführungen von Parteivertretern keine Erörterung im Sinne des genannten Gebührentatbestands dar, wenn sie dazu dienen, den Grund für bestimmte an einen Sachverständigen gerichtete Fragen darzustellen. Diese Tätigkeit des Rechtsanwalts wird durch die Beweisgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO mit abgegolten.
Normenkette
BRAGO § 31 Abs. 1 Nr. 4, § 48
Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Beschluss vom 19.06.2012; Aktenzeichen 1 O 8346/09) |
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des LG Nürnberg-Fürth vom 19.6.2012 wird zurückgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens beträgt 1.087,78 EUR.
Gründe
I. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Frage, ob für die anwaltliche Tätigkeit im Termin zur Anhörung eines Sachverständigen im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens neben einer 13/10 Verfahrensgebühr und einer 10/10 Beweisgebühr zusätzlich eine 10/10 Erörterungsgebühr angefallen ist.
Die Kläger haben mit Kostenausgleichsantrag vom 10.4.2012 (Bl. 135 ff. der Akte) u.a. eine "Verhandlungsgebühr" für das selbständige Beweisverfahren angesetzt. Das LG hat im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 19.6.2012 (Bl. 145 ff. der Akte) das Entstehen einer derartigen Gebühr ebenso verneint wie die Voraussetzungen einer von den Klägern gemeinten (vgl. Bl. 151) Erörterungsgebühr. Eine derartige Gebühr entstehe nur, wenn die Erörterung in einem Termin im Rahmen eines Versuchs zur gütlichen Beilegung stattgefunden habe, nicht jedoch, wenn - wie vorliegend - der Termin nur zur Erläuterung des Gutachtens durch den Sachverständigen bestimmt worden sei.
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Beklagtenvertreters vom 23.7.2012 (Bl. 150 ff. der Akte). Mit Beschluss vom 6.11.2012 hat das LG der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen, wobei es seine Begründung dahingehend ergänzt hat, dass sich aus dem Sachvortrag beider Parteien im Beschwerdeverfahren nichts darüber ergebe, dass in dem Termin ein Versuch zur gütlichen Beilegung unternommen worden sei (Bl. 160 f. der Akte).
II.1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig.
Die Beschwer beträgt 1.087,78 EUR und liegt damit über der Zulässigkeitsgrenze von 200 EUR nach § 567 Abs. 2 ZPO. Der Wert des Beschwerdegegenstandes ist der Differenzbetrag, um den die Beschwerdeführer nach ihrem Antrag die angefochtene Entscheidung zu ihren Gunsten ändern lassen wollen. Maßgeblich für die Beschwerdesumme ist der Zeitpunkt der Beschwerdeeinlegung. Eine spätere Verminderung der Beschwer ist daher ohne Bedeutung (Zöller/Heßler, ZPO, 29. Aufl., § 567 ZPO Rz. 41, m.w.N.; entspricht § 40 GKG). Daher bleibt die Reduzierung der Beschwer der Kläger auf 197,78 EUR, welche sich bei Berücksichtigung der im Falle des Erfolgs der Beschwerde auch auf Beklagtenseite einzustellenden Erörterungsgebühr ergibt, unberücksichtigt, nachdem die Festsetzung dieser Gebühr von der Beklagten erst mit Hilfsantrag vom 13.8.2012 für den Fall eines Erfolges der sofortigen Beschwerde der Kläger begehrt wurde.
2. Die sofortige Beschwerde ist unbegründet. Das LG hat im angegriffenen Beschluss zu Recht zugrunde gelegt, dass eine Erörterungsgebühr nicht entstanden ist.
a) Nach § 61 Abs. 1 S. 1 RVG ist für die streitgegenständliche Kostenfestsetzung die BRAGO anzuwenden, da ein unbedingter Auftrag zur Vertretung im selbständigen Beweisverfahrens vor dem 1.7.2004 erteilt worden war.
aa) Nach § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO erhält der Rechtsanwalt für die Erörterung der Sache, auch im Rahmen eines Versuchs zur gütlichen Beilegung, eine Gebühr (Erörterungsgebühr).
Bereits aus den Motiven (BT-Drucks. 7/3243, 8) ergibt sich, dass der Gesetzgeber dem Rechtsanwalt die Erörterungsgebühr nicht lediglich für eine interne Prüfung der Argumente eines richterlichen Hinweises gewähren wollte. Der dortigen Begründung für die Erforderlichkeit einer eigenständigen Erörterungsgebühr, wonach bei einzelnen Gerichten die Praxis bestehe, das Sach- und Streitverhältnis mit den Parteien und Anwälten ausgiebig vor der förmlichen Stellung der Anträge und damit vor Beginn der mündlichen Verhandlung zu erörtern, wodurch die Verhandlungsgebühr nicht anfalle, obwohl die Erörterung der Sache nicht weniger Mühe mache als eine mündliche Verhandlung, ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber für den Anfall der Erörterungsgebühr eine ausdrückliche Auseinandersetzung zumindest eines der Prozessbevollmächtigten mit der vom Gericht dargelegten Sach- und Rechtslage als erforderlich angesehen hat. Von einer auf die mündliche Verhandlung bezogenen Mühewaltung des Rechtsanwalts, die dem Verhandeln i.S.v. § 31 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO gleichkommen soll, kann rein begrifflich erst gesprochen werden, wenn es über...