Leitsatz (amtlich)

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (NJW 2011, 1003) ist während der bis zum 31.05.2013 übergangsweisen Fortgeltung der Vorschriften zur Verlängerung der Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus (§ 67d Abs. 3 StGB) und zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung (§ 66b Abs. 2 StGB, § 7 Abs. 2 JGG) u. a. verschärfend erforderlich, dass eine "hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist".

Bei der näheren Bestimmung des Begriffs der "hochgradigen Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten" ist unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips der gebotene Schutz bedrohter Rechtsgüter gegenüber dem Freiheitsanspruch des Verurteilten sowie dessen Vertrauen, nach Verbüßung der Strafe die Freiheit wieder zu erlangen, abzuwägen.

Die Merkmale "hochgradige Gefahr" und "schwerste Gewalt- und Sexualstraftaten" können nicht isoliert von einander betrachtet werden. Beide Teilbegriffe verfügen über eine gewisse Bandbreite. Ein "weniger" an Rückfallgefahr kann durch ein "mehr" an Qualität der drohenden schwersten Gewalt- und Sexualstraftat ausgeglichen werden, solange diese zusammen das Gewicht des Freiheitsanspruchs des Verurteilten übersteigen.

Der Begriff der "hochgradigen Gefahr" fordert aber, dass auch bei der denkbar schwersten "Gewalt- und Sexualstraftat" das mittlere Rückfallrisiko überschritten wird.

 

Normenkette

StGB § 67d Abs. 3, § 66b Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Regensburg (Entscheidung vom 06.05.2011; Aktenzeichen NSV 121 Js 17270/98 jug.)

 

Tenor

Die Beschwerde des Verurteilten D... I... gegen den Beschluss der Großen Jugendkammer des Landgerichts Regensburg vom 6. Mai 2011 wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.

 

Gründe

A) Der 1978 geborene Beschwerdeführer wurde am 29.10.1999 durch das Landgericht Regensburg (Az.: ...) wegen Mordes zu zehn Jahren Jugendstrafe verurteilt. Er hatte im Juni 1997 als Heranwachsender in einem Waldgebiet eine Joggerin angegriffen und erwürgt. Sodann hatte er den Genitalbereich der bereits toten oder im Sterben liegenden Frau freigelegt und bis zum Samenerguss onaniert. Das Landgericht sah es als erwiesen an, dass der Beschwerdeführer anfangs dazu entschlossen gewesen sei, sein Opfer zu vergewaltigen und anschließend zu töten, dann aber den Geschlechtsverkehr mit der reglos daliegenden Frau nicht mehr gewollt habe. Weiterhin ging das Landgericht sachverständig beraten davon aus, dass der Beschwerdeführer im Tatzeitpunkt weder schuldunfähig noch vermindert schuldfähig i.S.d. §§ 20, 21 StGB gewesen sei, wenngleich gewisse Anhaltspunkte für den Beginn einer sexuellen Deviation bestünden. Die verhängte Jugendstrafe ist seit 17.7.2008 vollständig verbüßt.

Am 14.7.2008 ordnete das Landgericht Regensburg gemäß § 275a Abs. 5 StPO die einstweilige Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung an und begründete dies im Wesentlichen mit der hohen Wahrscheinlichkeit weiterer erheblicher Straftaten durch den Beschwerdeführer gegen Leib und Leben und die sexuelle Selbstbestimmung.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat das Oberlandesgericht Nürnberg mit Beschluss vom 22.10.2008 als unbegründet verworfen (Az.: 2 Ws 499/08).

Mit Urteil vom 22.6.2009 (Az.: NSV 121 Js 17270/98) ordnete das Landgericht Regensburg gemäß § 7 Abs. 2 JGG nachträglich die Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung an. Es stellte nach sachverständiger Beratung fest, bei dem Beschwerdeführer bestehe - anders als bei Aburteilung der Anlasstat angenommen - eine multiple Störung der Sexualpräferenz (ICD-10 F65.6) mit einer sadistischen Komponente und eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ (ICD-10 F60.30). Diese psychischen Erkrankungen seien Auslöser für die Begehung der Anlasstat gewesen. Bei ihm seien schon seit seinem 15. Lebensjahr sexuelle Gewaltfantasien aufgetreten, die sich darauf gerichtet hätten, Frauen durch Würgen am Hals wehr- bzw. leblos zu machen. Diese Fantasien, die bis heute nicht überwunden seien, hätten sich in den Wochen vor der Anlasstat intensiv gesteigert, bis er sie schließlich umgesetzt habe. Auch während der Haft - zuletzt von ihm eingeräumt im Jahr 2005 - hätten diese Fortbestand gehabt. Er werde mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten der in § 7 Abs. 2 Nr. 1 JGG bezeichneten Art begehen. Seine psychischen Erkrankungen seien noch nicht ausreichend therapiert. Eine mehrjährige sozialtherapeutische Behandlung während des Strafvollzugs in der Justizvollzugsanstalt B... sei mangels genügender Offenheit und Motivation gescheitert. Auch durch die Gruppen - und Einzeltherapien in der sozialtherapeutischen Abteilung für Sexualstraftäter in der Justizvollzugsanstalt S..., in der er sich vom 10.1.2007 bis 12.9.2007 aufgehalten habe, sei er mit den zur Verfügung stehenden Mitteln nicht erreichbar gewesen.

Der im Falle einer Entlassung erforderliche gesicherte soziale Empfangsraum sei ...

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