Leitsatz (amtlich)
1. In der Insolvenz eines haftpflichtversicherten Schädigers ermöglicht eine Freigabe des Deckungsanspruches durch den Insolvenzverwalter kein unmittelbares Vorgehen gegen den Versicherer aus einem Absonderungsrecht nach § 110 VVG, solange es an einer Feststellung i.S.d. § 106 VVG fehlt.
2. Ob dem geschädigten Patienten im Geltungsbereich des Bayerischen Heilberufe-Kammergesetzes ein Direktanspruch gegen den Berufshaftpflichtversicherer eines Arztes zustehen kann, bleibt offen.
Normenkette
VVG §§ 106, 110, 113 Abs. 1, § 115 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
LG Amberg (Beschluss vom 09.05.2012; Aktenzeichen 22 O 286/12) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des LG Amberg vom 9.5.2012 wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Die Antragstellerin begehrt Prozesskostenhilfe für eine Klage auf Schmerzensgeld und Schadensersatz aufgrund mehrerer plastisch-chirurgischer Eingriffe, die der Kiefer- und Gesichtschirurg A K, der bei der Beklagten eine mindestens bis zum 5.9.2009 bestehende Berufshaftpflichtversicherung genommen hatte, zwischen dem 23.11.2004 und dem 26.2.2009 bei der Klägerin zum Zwecke der Figurformung und Gewichtsverringerung vorgenommen hatte.
Der Versicherungsnehmer der Beklagten nahm am 23.11.2004 bei der damals noch minderjährigen Klägerin einen Eingriff vor, der als Bauchdeckenstraffung und Liposuktion bezeichnet wurde; weitere Eingriffe erfolgten mindestens am 9.11.2005 zum Zwecke einer Narbenkorrektur und am 7.11.2007 erneut zur Narbenkorrektur, ferner am 8.1.2008 und am 26.2.2009. Über den Umfang und die Gestaltung der beiden letztgenannten Eingriffe ist Näheres nicht vorgetragen. Die Klägerin behauptet unter Bezug auf ein im Beweissicherungsverfahren des LG Amberg 24 OH 1048/10 erstattetes Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. H (Universitätsklinikum E), die Erstoperation sei nicht sachgerecht durchgeführt worden; die Klägerin sei dadurch erheblich beeinträchtigt worden. Die Narbenkorrektur vom 7.11.2007 sei, soweit überhaupt feststellbar, jedenfalls nicht fachgerecht erfolgt. Auch hierdurch sei die Antragstellerin erheblich und dauerhaft geschädigt worden; insbesondere sei durch die nicht fachgerechte Ausführung des Eingriffs die Möglichkeit späterer Korrekturen wesentlich eingeschränkt worden. Zu dem Eingriff vom 26.2.2009 konnte der Sachverständige mangels Vorliegens eines Operationsberichtes nicht Stellung nehmen; die Antragstellerin trägt hierzu auch keine Einzelheiten vor. Für die notwendige Korrekturoperation müsse mit Kosten zwischen 8.000 und 14.000 EUR, gemittelt also 12.000 EUR (so ausdrücklich die Antragstellerin) gerechnet werden; eine weitere Nachoperation in Gestalt einer Aspirationslipektomie werde (weitere) 4.000 EUR kosten.
Über das Vermögen des A K ist zu einem nicht genau vorgetragenen Zeitpunkt das Insolvenzverfahren eröffnet worden (AG Amberg 64 IN 6/11). Die Antragstellerin hat am 21.4.2011 einen Betrag von 10.000 EUR als "Schmerzensgeld plus Rückzahlung von Arztkosten" zur Insolvenztabelle angemeldet. Die Forderung ist vom Insolvenzverwalter in voller Höhe vorläufig bestritten worden.
Die Antragstellerin beabsichtigt nunmehr, die Beklagte als Haftpflichtversicherer des A K auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes nebst Zinsen (Betragsvorstellung 8.000 EUR), von 16.000 EUR "als Vorschuss gem. §§ 634 Nr. 2, 637 Abs. 1, Abs. 3 BGB" sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht bezüglich aller materieller und immaterieller Schäden der Antragstellerin aus der Behandlung zwischen 2004 und 2009 in Anspruch zu nehmen. Sie beruft sich auf ihr Absonderungsrecht gem. § 110 VVG sowie auf einen Direktanspruch gem. § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 VVG. Die Verpflichtung des A K, sich gegen Haftpflichtansprüche aus beruflicher Tätigkeit zu versichern, beruhe auf der Berufsordnung für die bayerischen Zahnärzte, damit handele es sich um eine Pflichtversicherung i.S.d. § 113 VVG.
Die Antragsgegnerin meint, sie sei nicht passiv legitimiert.
Mit Beschluss vom 9.5.2012 hat das LG den Prozesskostenhilfeantrag mangels Erfolgsaussicht abgelehnt.
Ein Direktanspruch nach § 115 VVG scheitere daran, dass die vom Behandler genommene Haftpflichtversicherung keine Pflichtversicherung i.S.d. § 113 Abs. 1 VVG sei, denn eine solche liege nur vor, wenn zu ihrem Abschluss eine Verpflichtung durch Rechtsvorschrift bestehe; unter einer Rechtsvorschrift sei zwar auch eine Satzung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft, nicht aber die Satzung einer berufsständischen Kammer zu verstehen. Derzeit könne die Antragstellerin auch nicht aus § 110 VVG vorgehen. Da der Insolvenzverwalter der Feststellung der Forderung zur Tabelle widersprochen habe, bleibe er passiv legitimiert. Folglich müsse der Haftpflichtgläubiger entweder gegen den Verwalter vorgehen oder im Falle der Freigabe gegen den Schuldner selbst; erst dann könne er den Versicherer in Anspruch nehmen.
Gegen diesem ihrem Prozessbevollmächtigten am 22.5.2012 zugestellten Beschluss richtet sich die am 31.5.2012 eingegangen...