Leitsatz (amtlich)
Der nach dem Urteil des BVerfG v. 4.5.2011 - 2 BvR 2365/09 u.a. (BVerfG NJW 2011, 1931) in den Fällen der nachträglich angeordneten oder über zehn Jahre hinaus verlängerten Sicherungsverwahrung anzulegende strenge Maßstab der hochgradigen Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten ist nicht auf den Tatbestand des § 1 Abs. 1 ThUG zu übertragen.
Normenkette
ThUG § 1 Abs. 1-2, § 14 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Regensburg (Beschluss vom 15.06.2011; Aktenzeichen 7 AR 2/11 ThUG) |
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Leiters der Justizvollzugsanstalt S. vom 4.7.2011 wird der Beschluss der 7. Zivilkammer des LG Regensburg vom 15.6.2011 aufgehoben und die vorläufige Unterbringung des Betroffenen in einer geeigneten geschlossenen Einrichtung i.S.d. § 2 ThUG einstweilen angeordnet.
II. Diese Anordnung endet spätestens am 21.10.2011, sofern sie nicht vorher verlängert wird.
III. Bei der Zuführung zur Unterbringung darf die zuständige untere Verwaltungsbehörde - soweit nötig mit Hilfe der polizeilichen Vollzugsorgane - Gewalt anwenden und erforderlichenfalls auch gegen den Willen des Betroffenen dessen Wohnung betreten.
IV. Die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung wird angeordnet.
Gründe
I. Der Betroffene wurde am 16.12.1997 vom LG München I im Verfahren 10 KLs ... wegen sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zugleich wurde gegen ihn die Sicherungsverwahrung angeordnet, die seit dem 5.6.2000 in der Justizvollzugsanstalt S. vollzogen wurde. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Betroffene sich gegenüber einer ihm bis dahin völlig unbekannten 24-jährigen dunkelhäutigen Asylbewerberin als Polizeibeamter ausgab und sie so veranlasste, ihm in seine Wohnung zu folgen. Dort verlangte er von der jungen Frau sexuelle Handlungen und erreichte mit der Drohung, sie vom Balkon zu werfen, dass diese ihm keinen Widerstand entgegensetzte. Sie duldete deshalb manuelle und orale Manipulationen an ihrer Scheide und ihrem After, sowie die Rasur ihrer Schamhaare. Er erreichte ferner, dass die Geschädigte mit ihren Händen an seinem Geschlechtsteil rieb. Die Tathandlungen zogen sich über einen Zeitraum von zwei Stunden hin und waren mit entwürdigenden Handlungen für das Opfer verbunden.
Am 3.1.2011 beantragte der Leiter der Justizvollzugsanstalt S. bei dem LG Regensburg die Unterbringung des Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung gem. § 1 ThUG anzuordnen und insoweit vorab die vorläufige Unterbringung gem. § 14 ThUG anzuordnen.
Mit Beschluss vom 15.4.2011 hat der 2. Strafsenat des OLG Nürnberg entschieden, dass die Unterbringung des Betroffenen in der Sicherungsverwahrung mit Ablauf des 30.6.2011 erledigt ist; am 30.6.2011 wurde der Betroffene aus dem Maßregelvollzug entlassen.
Mit Beschluss vom 15.6.2011 hat die 7. Zivilkammer des LG Regensburg, nach vorheriger persönlicher Anhörung des Betroffenen und Stellungnahme des beigeordneten Rechtsanwalts, den Antrag auf Anordnung einer vorläufigen Unterbringung des Betroffenen zurückgewiesen und die Zurückweisung im Wesentlichen damit begründet, dass unter Berücksichtigung des Urteils des BVerfG vom 4.5.2011 (2 BvR 2365/09 u.a.) auch eine Unterbringung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG nur dann zulässig sei, wenn von dem Betroffenen aufgrund seiner psychischen Störung eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualdelikte ausgeht. Da beim Betroffenen nur gravierende und nicht schwerste Sexualstraftaten zu befürchten seien, dürfe keine vorläufige Unterbringung nach § 14 ThUG angeordnet werden.
Gegen den am 22.6.2011 zugestellten Beschluss, hat der Leiter der Justizvollzugsanstalt S. mit Schriftsatz vom 4.7.2011, der am 5.7.2011 beim LG Regensburg einging, Beschwerde eingelegt. Auf die Begründung der Beschwerde wird Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 6.7.2011 hat die 7. Zivilkammer des LG Regensburg der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.1. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) und Antragstellers ist gem. § 14 Abs. 1 ThUG statthaft und auch im Übrigen zulässig (§§ 14 Abs. 2, 3 ThUG i.V.m. §§ 58 ff. FamFG). Dass der Betroffene zwischenzeitlich aus dem Maßregelvollzug der Justizvollzugsanstalt S. entlassen wurde und seinen Wohnsitz nunmehr in D. genommen hat, hat gem. § 3 ThUG i.V.m. § 2 Abs. 2 FamFG keinen Einfluss auf die nach § 4 Abs. 2 Satz 2 bei Einleitung des Verfahrens begründete ausschließliche Zuständigkeit des LG Regensburg und damit des OLG Nürnberg als Beschwerdegericht.
2. Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Anordnung der einstweiligen Unterbringung des Betroffenen nach § 14 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 und 2 und § 2 ThUG.
a) Die Vorschriften der §§ 1 ff., 14 ThUG sind anwendbar. Die mit Schriftsatz des Beistandes des Betroffenen vom 15.4.2011 geäußerte Auffassung, das Therapieunterbringungsgesetz sei verfassungswidrig, teilt der Senat nicht. Aus den nachfolgend dargelegten Gründen (b, cc, 2) besteht insbesondere auch kein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot.
b) Nach § 14 Abs. 1 ThUG kann das Gericht im Hauptsache...