Leitsatz (amtlich)
Eine Anklageschrift, die ein (noch) strafloses Verhalten schildert und offen lässt, welche konkreten Umstände eine Strafbarkeit des Angeklagten erst noch begründen sollen, erfüllt die Anforderungen an den Inhalt einer Anklageschrift (hier Vorwurf der Volksverhetzung) mit Angabe der den äußeren und inneren Tatbestand belegenden Merkmale und an die Umgrenzungsfunktion einer Anklageschrift nicht.
Normenkette
StGB § 130 Abs. 3; StPO § 206a
Verfahrensgang
LG Regensburg (Entscheidung vom 11.07.2011; Aktenzeichen 4 Ns 102 Js 1410/09) |
Tenor
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 11.07.2011 samt Feststellungen aufgehoben.
II. Das Verfahren wird wegen Bestehens eines Verfahrenshindernisses eingestellt.
III. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten hat die Staatskasse zu tragen.
Gründe
I. Das Amtsgericht Regensburg hat am 22.10.2009 gegen den Angeklagten wegen Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB einen Strafbefehl erlassen und eine Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen zu je 100,00 Euro festgesetzt.
Der Strafbefehl schildert den Sachverhalt wie folgt:
"Am 01.11.2008 hielten Sie sich anlässlich einer Diakonatsweihe im Priesterseminar Herz Jesu, S. auf. Nach der Weihe gaben Sie dem schwedischen Fernsehsender "SVT 1" ein Interview. In diesem Interview machten Sie auf Frage u.a. folgende Ausführungen: "Ich glaube, dass die historischen Beweise stark, gewaltig dagegen sprechen, dass 6 Millionen Juden vorsätzlich in Gaskammern vergast wurden als vorsätzliche Strategie Adolf Hitlers... Ich glaube, es gab keine Gaskammern.. Ich glaube, dass zwei- oder dreihundert Tausend Juden in Nazi-Konzentrationslagern umkamen, aber nicht so... dass keiner davon durch Gaskammern umkam... Aber ich glaube nicht, dass 6 Millionen Juden vergast wurden."
Hierbei war Ihnen bekannt, dass derartige Äußerungen in Deutschland strafbar sind. Von den Interviewpartnern wurden Ihnen keinerlei Zusicherungen über die künftige Verbreitung und Verwendung des aufgezeichneten Interviews gemacht. Sie rechneten daher damit, dass das aufgezeichnete Interview auch in Deutschland bekannt werden und dort Aufsehen erregen wird. Dies nahmen Sie billigend in Kauf."
Auf Einspruch des Angeklagten hin hat das Amtsgericht Regensburg am 16.04.2010 den Angeklagten wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 100,00 Euro verurteilt.
Gegen dieses Urteil haben sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt, letztere beschränkt auf das Strafmaß. Mit Urteil vom 11.07.2011 hat das Landgericht Regensburg die Berufung des Angeklagten mit der Maßgabe, dass die Tagessatzhöhe auf 65,00 Euro abgeändert wird, und die Berufung der Staatsanwaltschaft als unbegründet verworfen.
Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit Schreiben vom 11.07.2011, eingegangen bei Gericht am selben Tage, Revision eingelegt und mit Schreiben vom 13.09.2011, 28.11.2011, 04.01.2012 und 10.01.2012 form- und fristgerecht begründet.
II. Das Verfahren ist gemäß § 206 a StPO einzustellen, da ein Prozesshindernis besteht. Der Strafbefehl vom 22.10.2009 schildert keinen eine Straftat darstellenden Sachverhalt und wird der Umgrenzungsfunktion einer Anklageschrift nicht gerecht.
1. Eine Anklageschrift, hier in Form eines Strafbefehls, unterrichtet zum Einen den Angeschuldigten über den gegen ihn erhobenen Tatvorwurf (Informationsfunktion) und bezeichnet zum Anderen in persönlicher und sachlicher Hinsicht den Gegenstand des späteren Hauptverfahrens (Umgrenzungsfunktion; Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage § 200 Rn. 2; KK-Schneider, StPO, 6. Auflage § 200 Rn. 1). Die Tat im strafprozessualen Sinn wird dabei mit Zeit und Ort als historisches Ereignis in der Weise geschildert, dass die Identität des gemeinten geschichtlichen Vorgangs klargestellt wird und sich die Tat von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lässt. Jedes gesetzliche Merkmal des äußeren und inneren Tatbestandes ist mit dem entsprechenden äußeren und inneren Vorgang oder Zustand zu belegen (Meyer-Goßner, aaO., Rn. 7 und 8; KK-Schneider, aaO., Rn. 3 und 4 m.w.N. der obergerichtlichen Rspr.).
Verstößt die Anklageschrift gegen diese Erfordernisse und wird sie wegen grober Lückenhaftigkeit ihrer Umgrenzungsfunktion nicht mehr gerecht, liegt nach einhelliger Ansicht in Rechtsprechung und Literatur ein so schwerer funktioneller Mangel vor, dass die Anklageschrift als unwirksam anzusehen und das Verfahren wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung einzustellen ist (Meyer-Goßner, aaO., Rn. 26; KK-Schneider, aaO., Rn. 30). Das gilt insbesondere dann, wenn unklar bleibt, auf welchen Sachverhalt sich die Anklage bezieht und sachliche Lücken auch nicht aus dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen geschlossen werden können (BGH StV 2006, 457). Die begangene konkrete Tat muss durch bestimmte Tatumstände so genau gekennzeichnet werden, dass keine Unklarheit darüber möglich ist, welche Handlungen dem Angeklagte...