Leitsatz (amtlich)
Wer ein Kraftfahrzeug mit einem weit über der Richtgeschwindigkeit liegenden Tempo fährt - hier 200 km/h -, muss in besonderem Maße seine volle Konzentration auf das Verkehrsgeschehen richten.
Schon die kurzzeitige Ablenkung durch Bedienung des sog. Infotainmentsystems (Navigationssystem) kann bei derartigen Geschwindigkeiten den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit begründen, mit der Folge eines zumindest teilweisen Verlustes der Haftungsfreistellung in den einer Kaskoversicherung nachgebildeten Bedingungen eines Mietvertrags.
Das Vorhandensein eines sog. Spurhalteassistenten reduziert den in einem entsprechenden Verhalten liegenden Schuldvorwurf zumindest bei derartig hohen Geschwindigkeiten nicht.
Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Aktenzeichen 8 O 1980/16) |
Tenor
I. Das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 1. Juni 2017, Az.: 8 O 1980/16, wird abgeändert:
Der Beklagte zu 1) wird verurteilt, an die Klägerin 11.947,69 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30. Juli 2015 zu zahlen.
II. Von den Gerichtskosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt die Klägerin 69% und trägt der Beklagte zu 1) 31%.
Die außergerichtlichen Kosten erster Instanz der Klägerin trägt der Beklagte zu 1) zu 31%; im Übrigen trägt sie die Klägerin selbst.
Die außergerichtlichen Kosten erster Instanz des Beklagten zu 1) trägt die Klägerin zu 39%; im Übrigen trägt sie der Beklagte zu 1) selbst.
Bezüglich der außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2) verbleibt es bei der Kostenregelung erster Instanz (Tragung durch die Klägerin).
Die Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz trägt der Beklagte zu 1).
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
1. Die Klägerin ist der Berufung verlustig, soweit sie diese hinsichtlich einer Teilforderung von 12,50 EUR mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2018 zurückgenommen hat.
2. Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 11.960,19 EUR bis zum 20. Dezember 2018, sowie auf 11.947,69 EUR für das weitere Verfahren danach festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin, eine Autovermieterin, verlangt vom Beklagten zu 1) - er war Fahrer, aber nicht Mieter des Wagens - Schadenersatz, weil dieser am 19. April 2015 mit dem Mietwagen, Typ Mercedes Benz CLS 63 AMG, auf der Autobahn verunfallte und den Wagen beschädigte. Während der Beklagte zu 1), auf der linken Spur fahrend, das Infotainmentsystem des Fahrzeugs bediente, um dort Informationen abzurufen, geriet das Fahrzeug nach links von der Fahrbahn ab und stieß gegen die Mittelleitplanke.
Die Klägerin trägt vor, der Beklagte zu 1) sei mit einer Geschwindigkeit von 200 km/h gefahren.
Der Beklagte zu 1) behauptet, seine Geschwindigkeit habe lediglich 130 km/h betragen.
Im Mietvertrag für das Fahrzeug war eine Haftungsbeschränkung ohne Selbstbeteiligung vereinbart. Grundlage des Mietvertrages waren die Allgemeinen Vermietbedingungen der Klägerin (im Folgenden: AVB). Dort ist in I.2 Satz 4 AVB geregelt, dass die Vermieterin berechtigt ist, ihre Leistungspflicht zur Haftungsfreistellung in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen, wenn der Schaden am Mietfahrzeug grob fahrlässig herbeigeführt wurde. Der Beklagte zu 1) war als berechtigter Fahrer gemäß I.7 AVB in die Schutzwirkung der dort vereinbarten Haftungsbeschränkungen in gleicher Weise wie der Mieter ausdrücklich einbezogen.
Die Klägerin beruft sich auf grob fahrlässiges Verhalten des Beklagten zu 1) und macht in der Berufungsinstanz 50 % ihres durch den Unfall entstandenen Schadens geltend.
Von der weiteren Darstellung des Tatbestands wird abgesehen (§ 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO).
II. Die zulässige Berufung der Klägerin ist im noch zur Entscheidung gestellten Umfang begründet.
Der Klägerin steht gegen den Beklagten zu 1) ein Schadensersatzanspruch in tenorierter Höhe aus § 823 Abs. 1 BGB wegen (grob) fahrlässiger Eigentumsverletzung zu, der im ausgeurteilten Umfang nicht durch die vereinbarte Haftungsbeschränkung ausgeschlossen ist.
1. Die Klägerin ist aktivlegitimiert. Sie war nicht Eigentümerin, sondern Leasingnehmerin des beschädigten Fahrzeugs. Aufgrund der Abtretungserklärung der Eigentümerin, der M ... Leasing GmbH, vom 22. Dezember 2014 ist sie jedoch berechtigt, Schadensersatzansprüche wegen der Beschädigung ihrer Fahrzeuge im eigenen Namen geltend zu machen.
2. Die Haftung des Beklagten zu 1) gemäß § 823 Abs. 1 BGB dem Grunde nach ist nicht in Streit. Der Beklagte zu 1) verursachte mit dem vom früheren Beklagten zu 2) angemieteten Fahrzeug am 19. April 2015 einen Unfall, bei dem es beschädigt wurde. Unstreitig hat der Beklagte zu 1) den Unfall deshalb verursacht, weil er wegen Bedienung des Infotainmentsystems nicht mit der erforderlichen Aufmerksamkeit auf die Fahrbahn geachtet hat. Dies ist selbst dann zumindest fahrlässig, wenn der Beklagte zu 1) "nur" mit einer Geschwindigkeit von 130 km/h gefahren wäre.
3. Die Haftung des Beklagten zu 1) ist nicht aufgrund der zwischen der Klägerin und dem frühere Beklagten zu...