Leitsatz (amtlich)
1. Auch bei nach der VVG-Reform 2008 abgeschlossenen Verträgen ist der Versicherer entsprechend den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zur Aufklärung bei Anlagegeschäften verpflichtet, den Kläger bereits im Rahmen der Vertragsverhandlungen über alle Umstände verständlich und vollständig zu informieren, die für seinen Anlageentschluss von besonderer Bedeutung sind, wenn sich der Abschluss einer kapitalbildenden Lebensversicherung bei wirtschaftlicher Betrachtung als Anlagegeschäft darstellt.
2. Ob sich eine kapitalbildende Lebensversicherung bei wirtschaftlicher Betrachtung als Anlagegeschäft darstellt, weil die vereinbarte Versicherungsleistung gegenüber der Renditeerwartung von untergeordneter Bedeutung ist, ist durch eine Gesamtbewertung des Vertragsinhalts und dem Versicherer bekannter weiterer Umstände, wie einer Kreditfinanzierung der Beiträge, zu ermitteln.
3. Die Vereinbarung einer Todesfallleistung von 101 % der eingezahlten Prämien und damit die Übernahme des Verlustrisikos der Anlage des Deckungskapitals durch den Versicherer für diesen Fall steht bei wirtschaftlicher Betrachtung der Einordnung eines Versicherungsvertrages als Anlagegeschäft nicht entgegen.
Normenkette
BGB § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1; VVG § 6
Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Urteil vom 11.11.2014; Aktenzeichen 2 O 2752/13) |
BGH (Urteil vom 11.07.2012; Aktenzeichen IV ZR 164/11 -, BGHZ 194, 39-60) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG Nürnberg-Fürth vom 11.11.2014, Az. 2 O 2752/13, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
I. Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger als Gesamtschuldner 31.030,79 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 29.05.2013 zu zahlen.
II. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, den Kläger von sämtlichen Verbindlichkeiten aus dem Abschluss des Darlehensvertrages vom 10.11.2008 bei der V. B. AG, Konto-Nr... freizustellen.
III. Die Leistungen der Beklagten gemäß Ziffer I. und II. sind Zug um Zug zu erfüllen
a) gegen Übertragung sämtlicher Rechte aus der Versicherung Nr... bei der Beklagten zu 2);
b) gegen Übertragung sämtlicher Rechte aus der Versicherung Nr... bei der Beklagten zu 2).
IV. Es wird festgestellt, dass die Beklagten mit der Annahme der Rechte aus den Versicherungen Nr... und Nr... im Verzug sind.
V. Die Beklagten sind als Gesamtschuldner verpflichtet, den Kläger von den Kosten der außergerichtlichen Beauftragung der Rechtsanwälte M. freizustellen.
VI. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die weiter gehenden Berufungen der Beklagten werden zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen tragen der Kläger 18 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 82 %.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung der Gegenseite durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des für die Gegenseite aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 114.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger begehrt von den Beklagten im Wege des Schadensersatzes wegen Beratungsverschuldens die Rückabwicklung eines teilweise kreditfinanzierten fondsgebundenen Lebensversicherungsvertrages sowie eines fondsgebundenen Rentenversicherungsvertrages und Zinsen als entgangenen Gewinn. Einen zunächst hilfsweise gegen die Beklagte zu 2) geltend gemachten Auskunftsanspruch zum Verbleib der von ihm bezahlten Beiträge verfolgt er in der Berufung nicht mehr weiter.
Der Kläger schloss bei der Beklagten zu 2) im Wege des Invitatio-Modells die streitgegenständliche fondsgebundene Lebensversicherung mit Vermögensverwaltung gegen Zahlung eines Einmalbeitrages von 100.000,00 CHF sowie die streitgegenständliche fondsgebundene Rentenversicherung mit Vermögensverwaltung gegen Zahlung eines jährlichen Beitrags von 7.000,00 CHF ab. Dazu übersandte die Beklagte zu 2) auf Anträge des Klägers vom 20.05.2008 (Anlagen B (2) 1 und 7) diesem unter dem 17.06.2008 ein Angebot für die Rentenversicherung (Anlage B (2) 2 11) und unter dem 23.03.2009 ein Angebot für die Lebensversicherung (Anlage B (2) 2). Diese Angebote nahm der Kläger mit Einverständniserklärungen vom 26.06.2008 (Anlage B (2) 14) und 27.04.2009 (Anlage B (2) 6) an. Die Anlage des Deckungskapitals beider Versicherungen sollte zu 100 % im S. F. Fund erfolgen. Der Lebensversicherungsvertrag sieht eine Todesfallleistung in Höhe des Geldwertes der Deckungsrückstellung vor, mindestens 101 % der Einmalprämie. Der Rentenversicherungsvertrag sieht bei Ableben der versicherten Person vor Fälligkeit der Rente die Ausbezahlung der vorhandenen Deckungsrückstellung, mindestens der eingezahlten Prämien vor.
Zur teilweisen Finanzierung der Beiträge nahm der Kläger bei der V. B. AG einen Kredit i.H.v. zunächst 60.000,00 CHF auf.
Die Vermittlung der Verträge erfolgte durch die Beklagte zu 1...