Leitsatz (amtlich)

1. Erhebt eine in einem vorangegangen Zivilprozess unterlegene Partei Individualbeschwerde nach Art. 34 EMRK zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, so ist das Beschwerdeverfahren vorgreiflich i.S.d. § 148 ZPO, wenn der rechtskräftigen Entscheidung im Vorprozess Bindungswirkung nach § 322 Abs. 1 ZPO für den Zivilrechtsstreit zukommt, dessen Aussetzung in Frage steht.

2. Bei der Ermessensentscheidung nach § 148 ZPO stellt es einen gewichtigen, gegen die Aussetzung sprechenden Umstand dar, dass der Beschwerdeführer bereits erfolglos Verfassungsbeschwerde zum BVerfG erhoben hat, in der er die Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten gerügt hat (hier: Art. 103 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG), deren Schutzbereich im Wesentlichen demjenigen des geltend gemachten Konventionsverstoßes (hier: Art. 6 Abs. 1 EMRK) entspricht.

 

Normenkette

EMRK Art. 6 Abs. 1, Art. 34; BVerfGG §§ 93, 93b; ZPO §§ 148, 322 Abs. 1, § 580 Nr. 8

 

Verfahrensgang

LG Nürnberg-Fürth (Urteil vom 30.03.2010; Aktenzeichen 10 O 7746/09)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des LG Nürnberg-Fürth vom 30.3.2010 (Az.: 10 O 7746/09) wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Dieses Urteil sowie das in Nummer I. genannte Endurteil des LG Nürnberg-Fürth sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten können die Vollstreckung der Klägerin aus beiden Urteilen durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aus beiden Urteilen vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 119.346,49 EUR festgesetzt.

 

Gründe

A Die Beklagten kauften am 9.8.1996 von der S. GmbH eine Dachgeschoss- Eigentumswohnung in Berlin, B. Straße 21 (Wohnung Nr ...), für 310.800 DM. Es handelte sich um ein Sanierungsobjekt, wobei die Verkäuferin sich zum Ausbau des Dachgeschosses und damit zur Herstellung der verkauften Wohnung verpflichtete. Die Verkäuferin gewährte auf die Dauer von fünf Jahren eine Erstvermietungsgarantie von 15 DM/m2

Zur Finanzierung des Kaufpreises schlossen die Beklagten mit der Rechtsvorgängerin der Klägerin (künftig: Klägerin) am 29.08./10.9.1996 einen Vertrag über ein Annuitätendarlehen i.H.v. 278.000 DM.

Den Vertragsabschlüssen war eine Vermittlung durch L. M. vorausgegangen.

Nachdem die Beklagten ab Dezember 2000 die vereinbarten Zins- und Tilgungsleistungen nicht mehr erbrachten, kündigte die Klägerin das Darlehen mit Schreiben vom 3.2.2003 und stellte einen Betrag von 158.101,29 EUR zur sofortigen Rückzahlung fällig.

Am 18.7.2003 erhob die Beklagte zu 2 aus eigenem und abgetretenem Recht des Beklagten zu 1 Klage gegen die hiesige Klägerin mit dem Antrag, 59.952,13 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, diese habe Aufklärungspflichten im Hinblick auf die sittenwidrige Überhöhung des Kaufpreises verletzt. Außerdem habe der Vermittler völlig überhöhte Mieten versprochen.

Das LG Nürnberg-Fürth wies diese Klage mit Endurteil vom 22.12.2005 (Az. 10 O 6575/03) ab. Die Entscheidungsgründe enthalten u.a. die Feststellung, dass der Verkehrswert der Wohnung nach dem erholten Sachverständigengutachten auf der Grundlage des Vergleichswertverfahrens 118.305 EUR betrug, somit eine sittenwidrige Kaufpreisüberhöhung nicht vorliege. Die Höhe der nachhaltig zu erzielenden Miete ermittelte der Sachverständige mit 17 DM/m2.

Die hiergegen gerichtete Berufung der damaligen Klägerin (hiesige Beklagte zu 2) wies das OLG Nürnberg (nach vorhergehendem Hinweis) mit Beschluss vom 27.12.2006 (Az. 6 U 251/06) gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurück.

Mit Beschluss vom 21.6.2007 gab das OLG auch der hiergegen gem. § 321a ZPO eingelegten Gehörsrüge der damaligen Klägerin (hiesige Beklagte zu 2) keine Folge, da eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht vorliege.

Die damalige Klägerin (hiesige Beklagte zu 2) legte hiergegen Verfassungsbeschwerde zum BVerfG ein, mit der sie insbesondere die Verletzung des Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), die Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG), die Verletzung des Rechts auf ein objektiv willkürfreies Verfahren (Art. 3 Abs. 1 GG) und Verstöße gegen das Gebot eines wirkungsvollen Rechtsschutzes rügte. Mit Beschluss vom 17.1.2008 (Az. 1 BvR 1934/07) nahm das BVerfG die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an.

Daraufhin erhob die damalige Klägerin (hiesige Beklagte zu 2) Beschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, mit der sie eine Verletzung des in Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) verankerten Rechts auf ein faires Verfahren rügt. Das Beschwerdeverfahren ist dort am 24.7.2008 eingegangen (Beschwerde Nr. 35699/08). Ein...

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