Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Kaufpreis, Fahrzeug, Berufung, Unfall, Vorabentscheidungsersuchen, Verletzung, Anspruch, Berichterstattung, Ermessen, Auslegung, Software, Anordnung, Zug um Zug, Ermessen des Gerichts, positive Kenntnis
Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Urteil vom 24.03.2021; Aktenzeichen 9 O 8425/20) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 24.03.2021 (Az. 9 O 8425/20) teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 1.843,06 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30.01.2021 sowie weitere Zinsen in Höhe von 58,98 EUR zu bezahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs VW Beetle, FIN ...
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
III. Die Anschlussberufung der Klagepartei wird als unzulässig verworfen.
IV. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen
- im ersten Rechtszug die Klagepartei 87% und die Beklagte 13%
- im zweiten Rechtszug die Klagepartei 79% und die Beklagte 21%.
V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 24.03.2021 ist, soweit die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen wird, ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 8.601,12 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klagepartei nimmt den verklagten Fahrzeug- und Motorenhersteller auf Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung in Anspruch.
Die Klagepartei hatte am 02.06.2014 unmittelbar bei einem Autohaus einen VW Beetle bestellt, der ihr nachfolgend mit einem Kilometerstand von 0 km übergeben und mit einem Kaufpreis von 18.938,94 EUR in Rechnung gestellt wurde (Anlage K1).
Die Beklagte ist Herstellerin dieses Fahrzeugs und des hierin verbauten Dieselmotors des Typs EA189.
Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Die Motorsteuerung des Fahrzeugs war mit einer das Abgasrückführungsventil steuernden Software ausgestattet, die erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wurde, und in diesem Falle in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxidoptimierten Modus, schaltete. In diesem Modus fand eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltete der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Für die Erteilung der Typgenehmigung der Emissionsklasse Euro 5 maßgeblich war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur im Abgasrückführungsmodus 1 eingehalten.
Nach Abschluss des Kaufvertrags, am 22.09.2015, hatte die Beklagte eine Adhoc-Mitteilung nach § 15 WpHG a.F. veröffentlicht, wonach bei weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA189 eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt worden sei, sie mit Hochdruck daran arbeite, die Abweichungen mit technischen Maßnahmen zu beseitigen und dazu in Kontakt mit den zuständigen Behörden und dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) stehe. Das KBA sah die genannte Software als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 an und verpflichtete die Beklagte mit Bescheid vom 15.10.2015, die Abschalteinrichtung zu "entfernen" und "geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftmäßigkeit zu ergreifen". Die Beklagte entwickelte daraufhin ein Software-Update, das das KBA als geeignet zur Herstellung der Vorschriftsmäßigkeit auch des hier streitgegenständlichen Fahrzeugtyps ansah.
Die Klagepartei ließ das Software-Update durchführen.
Die Klagepartei hat unter Behauptung der Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs und einer Täuschung seitens der Beklagten über das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung der Abgassteuerungssoftware Schadensersatz geltend gemacht. Sie begehrt im Wesentlichen die (Rück-)Zahlung des Kaufpreises unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs. Sie macht weiter geltend, mit dem Software-Update sei eine neue unzulässige Abschaltvorrichtung in Form eines Thermofensters implementiert worden; dieses Update führe zudem zu Leistungseinbußen des Motors, einem höheren Kraftstoffverbrauch sowie erhöhtem Verschleiß.
Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz am 17.03.2021 wies das Fahrzeug eine Fahrleistung von 163.755 km auf.
Gerichtsbekannt wurde der sog. Diesel-Abgas-Skandal unmittelbar nach seinem Bekanntwerden im Herbst 2015 sowohl durch die Medien als auch aufgrund der öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen der Beklagten umfassend medial aufgearbeitet. Insoweit...