Leitsatz (amtlich)

Beschreibt der aufklärende Arzt dem Patienten die Wahrscheinlichkeit, dass eine Komplikation eintritt, als "sehr sehr gering", stellt er das mit der Behandlung insoweit verbundene Risiko unzutreffend dar, wenn die statistische Eintrittshäufigkeit der Komplikation bis zu 4 % beträgt.

 

Normenkette

BGB § 630h Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Nürnberg-Fürth (Aktenzeichen 4 O 7315/19)

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 17.06.2021, Az. 4 O 7315/19, wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Dieses Urteil sowie das vorbezeichnete Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 60.000,- EUR festgesetzt.

 

Gründe

A. Der Kläger nimmt die Beklagte wegen des Einsatzes einer Hüft-Total-Endoprothese (nachfolgend HTEP) im Jahr 2016 auf immateriellen und materiellen Schadensersatz in Anspruch.

Die Beklagte ist Trägerin eines Krankenhauses in E.. Der 1957 geborene Kläger stellte sich dort am 14.10.2016 mit Beschwerden in beiden Hüften, links mehr als rechts, insbesondere Ruheschmerzen und Einschränkung der Gehstrecke auf ca. 20 Minuten, und der andernorts gestellten Diagnose "Coxarthrose" vor. Unter konservativer Therapie, welche von einem niedergelassenen Facharzt für Chirurgie und Orthopädie am 01.08.2016 bei Vereinbarung einer Wiedervorstellung nach sechs Monaten verordnet worden war, hatten sich seine Beschwerden bis zur Vorstellung bei der Beklagten nicht gebessert.

Nachdem von den Ärzten der Beklagten die Indikation zum Einsatz einer HTEP links gestellt und mit dem Kläger ein Aufklärungsgespräch geführt worden war, dessen Ablauf und Inhalt zwischen den Parteien streitig sind, nahmen die Ärzte der Beklagten am 20.10.2016 den Eingriff vor. Die Operation verlief komplikationslos.

Bereits am Nachmittag des 21.10.2016 zeigten sich beim Kläger auf der operierten Seite Schmerzen im Mittelfuß und ein Taubheitsgefühl der Zehen bis in die Fußwurzel mit eingeschränkter Beweglichkeit. Hinzu kamen eine Fußheberschwäche (Plegie der Fußheber und Fußsenker) und Schmerzen im Bein. Eine am 03.11.2016 konsiliarisch von den Ärzten der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums Erlangen durchgeführte Neurografie ergab eine Läsion des Ischiasnervs bei Ausschluss einer Diskontinuität des Nervs und eines komprimierenden Hämatoms. Am selben Tag wurde der Kläger aus der stationären Behandlung bei nach wie vor bestehender Hypästhesie am linken Fuß, vor allem an den Zehen, Plegie des Fußhebers und -senkers links und mit einer Beinlängenzunahme links, deren Ausmaß zwischen den Parteien streitig ist, entlassen.

Der Kläger hat erstinstanzlich behauptet, die Ärzte der Beklagten hätten bei dem Eingriff am 20.10.2016 behandlungsfehlerhaft nicht das Notwendige unternommen, um eine Verletzung des Ischiasnervs zu vermeiden. Auch sei es in Folge der Operation zu einer vermeidbaren Verlängerung des linken Beins um 2 cm gekommen. Folge der Nervverletzung sei eine andauernde vollständige Lähmung des Fuß- und Zehenhebers links und eine Hypästhesie am linken Vorfuß und der linken Fußsohle. Dies und die Beinlängendifferenz führten zu schmerzhaften Bewegungseinschränkungen des linken Fußes, was die Lebensführung des Klägers vielfach beeinträchtige und ihn zwinge, orthopädische Schuhe zu tragen.

Der Kläger sei zudem vor dem Eingriff nicht ordnungsgemäß über das Risiko einer Nervverletzung und einer Beinlängendifferenz aufgeklärt worden. Zwar habe es ein mündliches Aufklärungsgespräch gegeben. Hierbei sei auf diese Risiken aber nicht hingewiesen worden. Später hat der Kläger dann vorgebracht, das Risiko einer Nervverletzung und einer Beinlängendifferenz sei von dem aufklärenden Arzt zwar angesprochen worden, aber mit dem Hinweis, die Aufklärung erfolge "der Form halber", somit verharmlost und unzutreffend dargestellt worden. Über eine Schmerztherapie als mögliche Alternative zu der Operation sei er ebenfalls nicht aufgeklärt worden.

Der Kläger hat deshalb von der Beklagten ein Schmerzensgeld nicht unter EUR 50.000 zuzüglich Prozesszinsen verlangt und die Feststellung eines Zukunftsvorbehalts sowie den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 923,38 EUR beantragt.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat jeden Behandlungsfehler in Abrede gestellt. Die Nervverletzung sei eine schicksalshafte Komplikation. Die Beinlängendifferenz betrage nicht 2 cm, sondern unter 1 cm, was im Toleranzbereich liege. Zudem hat sie den von dem Kläger behaupteten Krankheitsverlauf nach Entlassung aus stationärer Behandlung bestritten. Sie hat weiter behauptet, dass der Kläger ordnungsgemäß über das Risiko einer Ne...

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