Leitsatz (amtlich)
›Nach Ablauf der Einmonatsfrist des § 20 Abs. 1 VVG können vom Versicherer neue Rücktrittsgründe zur Stützung einer rechtzeitigen Kündigungserklärung nicht nachgeschoben werden.‹
Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Aktenzeichen 9 O 11686/96) |
Tatbestand
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
(Im Berufungsverfahren hat keine Beweisaufnahme stattgefunden).
Entscheidungsgründe
I.
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, §§ 511 ff ZPO.
II.
Das Rechtsmittel hat auch in der Sache selbst Erfolg.
Im Gegensatz zum Landgericht kommt der Senat zu dem Ergebnis, daß der von der Beklagten mit Schreiben vom 16.04.1996 ausgesprochene Rücktritt vom Versicherungsvertrag nicht wirksam ist. Auf die von der Klägerin erhobene Feststellungsklage ist deshalb der Fortbestand des Versicherungsverhältnisses auszusprechen.
Im einzelnen gilt folgendes:
1. Auf die in ihrem Rücktrittsschreiben ausdrücklich genannten Gründe kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg berufen, weil sie bei Vertragsabschluß insoweit ihrer Nachfrageobliegenheit nicht nachgekommen ist:
Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Versicherer bei Vertragsabschluß verpflichtet, die Angaben des Versicherungsnehmers zu den Gesundheitsfragen vor Antragsannahme sorgfältig zu prüfen, bei bestehenden Unklarheiten nachzufragen und sich aufdrängenden Verdachtsmomenten und Hinweisen nachzugehen. Unterläßt er dies, kann er sich auf solche Umstände, die er bei ordnungsgemäßem Risikoprüfungsverfahren erfahren hätte, nach Treu und Glauben zur Begründung eines Rücktritts oder einer Anfechtung nicht berufen (vgl. BGH RuS 92, 213; 93, 165; 95, 82; 354; 97, 84; Prölss-Martin, Kommentar zum VVG, 26. Aufl., Randziffer 25 zu § 16 VVG).
Dabei ist nicht erforderlich, daß sich die Unklarheiten im Antrag des Versicherungsnehmers gerade auf den nunmehr geltend gemachten Rücktrittsgrund beziehen. Ist ein Gefahrumstand, dessentwegen der Versicherer nunmehr zurücktreten will, bei Vertragsschluß vom Versicherungsnehmer überhaupt nicht angezeigt worden, wäre er aber an den Tag gekommen, falls der Versicherer Unvollständigkeiten im Hinblick auf andere Gefahrumstände nachgegangen wäre, so ist das Rücktrittsrecht gleichfalls zu versagen (vgl. BGH Versicherungsrecht 92, 603; Prölss, aaO).
b) So aber liegt der Fall hier:
Die Unklarheit im Versicherungsantrag der Klägerin, die die Beklagte zur Nachforschung hätte veranlassen müssen, bezog sich im Streitfall auf die Angaben der Klägerin zu Ziffer 6 der Gesundheitsfragen. Die Klägerin hatte hierzu in Bezug auf die am 28.10.1993 bei ihr erfolgte Operation wegen einer Bandscheibenprotrusion ergänzend angegeben (Ziffer 15 des Antrags), daß nach Behandlungsende keine Beschwerden mehr aufgetreten seien. Gleichzeitig hat sie ihrem Antrag ein Attest des Internisten Dr. E. H vom 10.07.1995 beigefügt. In diesem ist - abweichend vom Antrag - ausgeführt, daß seit Ende 1994 keine "wesentlichen Beschwerden mehr" bestünden. Hierin liegt eine offensichtliche Diskrepanz, die die Nachfrageobliegenheit der Beklagten auslöste. Es war Sache der Beklagten, selbst an Hand ihrer Grundsätze zur Risikoprüfung zu klären, ob die fortbestehenden Beschwerden der Klägerin "wesentlich" i.S.d. § 16 VVG waren.
Wäre die Beklagte diesem Punkt nachgegangen, so hätte sie mit hoher - für die richterliche Überzeugungsbildung ausreichender - Wahrscheinlichkeit bereits vor Vertragsannahme die in ihrem Rücktrittsschreiben vom 16.04.1996 verschwiegenen Gefahrenumstände erfahren. Sie hätte dann nämlich bereits vor Vertragsschluß den ärztlichen Bericht der Gemeinschaftspraxis Dr. K u. a. vom 02.06.1995 erhalten, auf den sie erklärtermaßen ihr Rücktrittsschreiben vom 16.04.1994 gestützt hat (vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 25.02.1997, Seite 2 ff, Bl. 30 ff d.A.). Der ärztliche Bericht der Praxis Dr. K war der Beklagten am 25.03.1996 zusammen mit der Auskunft des Arztes Dr. E. H vom 25.03.1996, den sie zur Prüfung der Rücktrittsvoraussetzungen erholt hatte, am 26.03.1995 zugegangen (vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 25.02.1997, Seite 2, Bl. 30 d.A.). Hätte die Beklagte, wozu sie - wie ausgeführt - verpflichtet gewesen wäre, die durch das ärztliche Attest vom 10.07.1995 aufgetretene Unklarheit bereits damals durch eine Nachfrage bei dem Internisten Dr. E. H aufgeklärt, so hätte ihr dieser schon seinerzeit das nur rund einen Monat zurückliegende Schreiben der Praxis Dr. K vom 02.06.1995, das ebenfalls die bei der Klägerin vorliegende allgemeine Schmerzproblematik betraf, mitgeteilt. Da es die Beklagte somit schuldhaft unterließ, vor Vertragsschluß eine ordnungsgemäße Risikoprüfung vorzunehmen, kann sie sich nunmehr nach Treu und Glauben nicht auf die später ermittelten, damals aber schon ermittelbaren Gefahrumstände zur Stützung ihres Rücktritts berufen.
2. Die im übrigen von der Beklagten geltend gemachten Rücktrittsgründe sind verspätet, weil sie diese erstmals im vorliegenden Verfahren vorgebracht hat:
a) Die Beklagte hat im Lau...