Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsgrundsätze zum neu gefassten § 7 Abs. 2 StVG
Leitsatz (amtlich)
Auch nach der n.F. des § 7 Abs. 2 StVG bleibt es dabei, dass
1. eine Enthaftung für die nach § 7 StVG begründete Betriebsgefahr über § 9 StVG möglich ist,
2. im Rahmen der Abwägung nach § 9 StVG, § 254 BGB nur solche Umstände berücksichtigt werden, die zweifelsfrei feststehen,
3. die Beweislast für die die Betriebsgefahr des motorisierten Verkehrsteilnehmers erhöhenden Umstände der Fußgänger oder Radfahrer trägt,
4. die Beweislast für eine Mitverursachung oder Mitverschulden des Fußgängers oder Radfahrers der motorisierte Verkehrsteilnehmer trägt,
5. die reine Betriebsgefahr des motorisierten Verkehrsteilnehmers kein höheres Gewicht als vor der Neufassung des § 7 StVG hat.
Verfahrensgang
LG Regensburg (Urteil vom 29.07.2004; Aktenzeichen 1 O 509/04) |
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des LG Regensburg vom 29.7.2004 - 1 O 509/04 - wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagten können die gegen sie gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Beschluss:
Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 200.102,86 Euro festgesetzt.
Gründe
A. Der Kläger macht als Radfahrer Ansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 21.2.2003 in B.A. auf der B 15 ereignete.
Der Beklagte zu 1) befuhr gegen 6.40 Uhr mit seinem Pkw VW Golf die B 16 in Richtung R. Auf Höhe der Ortschaft B.A. führt eine ca. 90 m vor dem eigentlichen Kreuzungsmittelpunkt beginnende und ca. 22 m lange Abbiegespur in Fahrtrichtung des Beklagten zu 1) nach rechts in die Ortschaft. Im Kreuzungsbereich selbst mündet - ebenfalls von rechts - die vom Kläger befahrene untergeordnete A.-Str. senkrecht in die Bundesstraße. In diesem Bereich kam es zu einer Kollision zwischen dem Kläger und dem Fahrzeug des Beklagten zu 1), bei der der Kläger erheblich verletzt wurde.
Der Pkw des Beklagten zu 1) ist bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert.
Der Kläger behauptet sowohl in erster als auch in zweiter Instanz, dass er hinter der rechten Seitenlinie der Bundesstraße gewartet und mehrere Pkw vorbeigelassen habe. Als sich der Pkw des Beklagten zu 1) genähert habe, habe dieser von Beginn der Abbiegespur bereits geblinkt. Er sei deshalb davon ausgegangen, dass der Beklagte zu 1) nach rechts abbiegen würde. Daraufhin habe er sein Fahrrad einen Schritt in Richtung in die Straße hineingeschoben. Dann sei er vom Beklagtenfahrzeug erfasst worden.
Die Beklagten bestreiten, dass der Beklagte zu 1) den rechten Blinker betätigt habe. Dieser habe vielmehr beabsichtigt, geradeaus auf der B 16 am Kläger vorbeizufahren, um nach Sch. zu seinem Arbeitsplatz zu gelangen.
Die auf Ersatz des materiellen Schadens sowie auf Zahlung eines Schmerzensgeldes gerichteten vier Klageanträge hat das Erstgericht nach Durchführung einer Beweisaufnahme abgewiesen.
Das Erstgericht hat zur Begründung ausgeführt:
Der Beklagte zu 1) hafte aufgrund des konkreten Unfallgeschehens zunächst einmal als Halter für die von seinem Fahrzeug ausgehende Betriebsgefahr nach § 7 Abs. 1 StVG n.F. ohne Entlastungsmöglichkeit nach § 7 Abs. 2 StVG n.F. Die nach § 9 StVG i.V.m. § 254 BGB zu treffende Abwägung führe jedoch dazu, die Beklagten wegen des erheblichen Mitverschuldens des Klägers von sämtlichen Ansprüchen freizustellen. Es sei Sache des Klägers, ein die Betriebsgefahr erhöhendes verkehrswidriges Verhalten des Beklagten zu 1) nachzuweisen. Aus dem erholten Sachverständigengutachten ergebe sich jedoch, dass der Beklagte zu 1) weder über die rechte Seitenlinie der Fahrbahn gefahren sei noch die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h überschritten habe. Aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen hänge dieses Ergebnis auch nicht davon ab, ob der Kläger sein Rad im Unfallzeitpunkt geschoben habe (so Sachvortrag des Klägers) oder auf diesem gesessen sei (so Sachvortrag der Beklagten). Dem Beklagten zu 1) sei auch nicht zu beweisen, dass er tatsächlich nach rechts geblinkt habe. Dagegen sei es nachgewiesen, dass der Kläger selbst sich verkehrswidrig verhalten habe. Denn er habe durch das Hineinfahren oder Hineinschreiten in die bevorrechtigte Bundesstraße das Vorfahrtsrecht des Beklagten zu 1) verletzt. Wer trotz eines erkennbar mit relativ hoher Geschwindigkeit herannahenden Kfz aus einer untergeordneten Straße in eine bevorrechtigte Bundesstraße hineinfahre oder hineinschreite, verletze einfachste, nahe liegende Sorgfaltspflichten, die jedem einleuchten müssen. Er handele grob fahrlässig, selbst wenn sich das Verhalten als sog. Augenblicksversagen darstelle. Gegenüber diesem groben Eigenverschulden trete die Betriebsgefahr des Pkws des Beklagten zu 1) zurück.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und trägt zur Begründung vor:
Die Entscheidung des Erstgerichts verst...