Leitsatz (amtlich)
1. Die Kündigung eines Lebensversicherungsvertrages durch den Betreuer des Versicherungsnehmers ist gemäß § 1908i Abs. 1, 1812 Abs. 1, 1831 BGB unwirksam, wenn die vereinbarte Todesfallleistung mehr als 3.000 Euro beträgt.
2. Auf die Kündigung eines Lebensversicherungsvertrages durch den Betreuer des Versicherungsnehmers findet § 1813 Abs. 1 Nr. 2 BGB über 1908i Abs. 1 BGB analoge Anwendung.
3. Für die Bestimmung des Anspruchswertes analog § 1813 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung auf die vereinbarte Todesfallleistung und nicht auf den Rückkaufswert abzustellen.
Normenkette
BGB § 1908i Abs. 1, § 1812 Abs. 1, § 1813 Abs. 1 Nr. 2, § 1831
Verfahrensgang
LG Regensburg (Urteil vom 12.05.2005; Aktenzeichen 3 O 103/14 (2)) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Regensburg vom 12.05.2015, Az. 3 O 103/14 (2), abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft und Abrechnung über die Höhe der Überschussbeteiligung der Risikolebensversicherung Nr. 73689547 zu erteilen.
2. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Klägerin macht gegen die Beklagte aus einem Lebensversicherungsvertrag Ansprüche auf die Versicherungssumme sowie im Wege der Stufenklage auf Auskunft, Abrechnung und Auszahlung hinsichtlich der Überschussbeteiligung geltend.
Der am 23.06.2011 verstorbene Ehemann der Klägerin, der seit Ende 2010 von dieser getrennt lebte, unterhielt bei der Beklagten eine Risikolebensversicherung (Versicherungssumme: 30.000,- EUR Versicherungsbeginn: 01.09.2005; Versicherungsende: 01.09.2020) auf Grundlage der ABRi 2004, bei der die Klägerin widerruflich als Bezugsberechtigte benannt war.
Der Ehemann der Klägerin stand ab 16.03.2011 unter anderem im Bereich der Vermögenssorge unter Betreuung. Zur Betreuerin war seine Schwester bestellt.
Die Betreuerin kündigte ohne Genehmigung des Betreuungsgerichts mit Schreiben vom 06.04.2011 den streitgegenständlichen Versicherungsvertrag. Die Beklagte bestätigte die Kündigung mit Wirkung zum 01.05.2011 und errechnete einen Rückkaufswert von 790,- EUR.
Auf Aufforderung der Beklagten zur Übersendung des Originalversicherungsscheins übersandte die Betreuerin am 22.06.2011 eine Erklärung über den Verlust des Versicherungsscheines sowie eine Kopie des Personalausweises des Versicherungsnehmers an die Beklagte. Diese Unterlagen gingen am 24.06.2011 dort ein. Im Vorfeld hatte die Betreuerin von der Klägerin nur eine Kopie des Versicherungsscheins erhalten.
Die Beklagte zahlte nachfolgend den Rückkaufswert von 790,- EUR an die Betreuerin aus.
Die Klägerin trägt vor, dass die Lebensversicherung der Absicherung eines gemeinsam mit ihrem Ehemann aufgenommenen Kredits gedient habe. Der Beitrag sei deshalb nach der Ende 2010 erfolgten Trennung von ihr weiter bezahlt worden. Sie ist der Meinung, dass die erfolgte Kündigung mangels Genehmigung durch das Betreuungsgericht unwirksam sei. Die Beklagte verhalte sich treuwidrig, da sie die Kündigung und die Auszahlung des Rückkaufswertes ohne Vorlage des Originalversicherungsscheins akzeptiert bzw. vorgenommen habe.
Die Beklagte behauptet, dass seitens des Ehemannes Klägerin ein Scheidungsantrag gestellt worden sei. Sie meint, dass die Kündigung im Hinblick auf die Höhe des Rückkaufswertes unter 3.000,- EUR nicht genehmigungspflichtig sei. Im Übrigen sei durch die Kündigung auch die Bezugsberechtigung der Klägerin weggefallen. Durch den behaupteten Scheidungsantrag sei weiter die Geschäftsgrundlage für die Bezugsberechtigung entfallen.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Es sah die Kündigung der Lebensversicherung durch die Betreuerin als wirksam an. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift sei § 1813 Abs. 1 Nr. 2 BGB auch auf die Kündigung der streitgegenständlichen Lebensversicherung anwendbar, der Anspruchswert i.S.v. § 1813 Abs. 1 Nr. 2 BGB bestimme sich nach dem Rückkaufswert von 790,- EUR. Damit sei weder ein Leistungsanspruch aus dem Versicherungsvertrag noch ein Auskunftsanspruch gegeben.
Wegen des weiteren Parteivorbringens in erster Instanz und der dort gestellten Anträge wird auf das Endurteil des LG Regensburg vom 12.05.2015 Bezug genommen.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 19.05.2015 zugestellte Endurteil des LG Regensburg mit Schriftsatz vom 15.06.2015, am selben Tag beim Oberlandesgericht Nürnberg eingegangen, Berufung eingelegt.
Die Klägerin verfolgt mit ihrer Berufung ihr erstinstanzliches Begehren weiter. Sie rügt eine fehlerhafte Rechtsanwendung des LG und meint, dass die Kündigung der Lebensversicherung der Genehmigung nach § 1812 BGB bedürfe und im Übrigen bei der Bewertung des Anspruchs nicht auf den Rückkaufswert abgestellt werden könne.
Die Klägerin beantragt unter Abänderung des Ersturteils:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 30.000,- EUR zuzüglich Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.09.2011 zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird weiter verurteilt, ...