Leitsatz (amtlich)

Das volle Ausschöpfen der gesetzlichen Berufungseinlegungs- und -begründungsfristen ist in der Regel nicht dringlichkeitsschädlich. Lediglich in eng begrenzten Ausnahmefällen kann eine Selbstwiderlegung durch verzögertes Betreiben des Verfahrens auch bei der Einhaltung der Rechtsmittelfristen entfallen. Ein solcher Sonderfall kommt im Rahmen der Gesamtwürdigung allenfalls in Betracht, wenn zum einen eine tatsächlich und rechtlich äußerst einfache Fallgestaltung gegeben ist, bei der keinerlei weitere tatsächliche Ermittlungen anzustellen und keine weiteren Glaubhaftmachungsmittel zu beschaffen sind, und wenn zum anderen der Verfügungskläger auch durch sein sonstiges Verhalten zum Ausdruck bringt, dass ihm selbst die Sache nicht so eilig ist.

 

Normenkette

UWG § 7 Abs. 2 Nr. 1, § 12 Abs. 1; ZPO § 172 Abs. 1, §§ 191, 517, 520 Abs. 2, § 929 Abs. 2, § 936

 

Verfahrensgang

LG Regensburg (Aktenzeichen 3 HK O 72/23)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Verfügungsklägers wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 31.03.2023, Az. 3 HK O 72/23, aufgehoben.

2. Die einstweilige Verfügung des Landgerichts Regensburg vom 18.01.2023, Az. 3 HK O 72/23, wird bestätigt.

3. Die Verfügungsbeklagte hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen zu tragen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 10.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

A. I. Die Verfügungsbeklagte beschäftigt sich gewerblich u.a. mit der Vermittlung von Versicherungen. Eine für sie tätige Mitarbeiterin ist Frau N. Der Verfügungskläger ist selbstständiger Versicherungsmakler. Zu den von ihm betreuten Kunden gehört Frau B., die im Jahr 2021 über einen Mitarbeiter der Verfügungsbeklagten eine private Riesterrente bei der "V Versicherung" abschloss. Im Oktober 2022 stellte Frau B. die Riesterrente auf Anraten des Verfügungsklägers beitragsfrei.

Mit E-Mail vom 18.10.2022 (Anlage ASt 6) widerrief Frau B. gegenüber der Verfügungsbeklagten eine etwaig von ihr erteilte Einwilligung zur Kontaktaufnahme. Den Eingang dieses Schreibens bestätigte die Verfügungsbeklagte am selben Tag per E-Mail (Anlage ASt 7).

Die Mitarbeiterin bei der Verfügungsbeklagten Frau N. rief Anfang November 2022 bei Frau B. an und wollte wegen des Themas der Beitragsfreistellung der Riesterrente einen Termin vereinbaren. Am 08.12.2022 erfolgte ein weiteres Telefonat zwischen Frau N. und Frau B.

Wegen dieses Sachverhaltes mahnte der Verfügungskläger die Verfügungsbeklagte mit Anwaltsschreiben vom 05.01.2023 (vgl. Anlage ASt 10) ab und forderte zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf.

Die Verfügungsbeklagte ließ diese Ansprüche mit anwaltlichem Schreiben vom 09.01.2023 (Anlage ASt 11) zurückweisen. Darin führten deren Prozessbevollmächtigte u.a. aus:

in vorbezeichneter Angelegenheit zeigen wir an, dass wir die T. AG anwaltlich vertreten. [...] Im Übrigen sind wir zustellungsbevollmächtigt.

II. Das Landgericht Regensburg erließ am 18.01.2023 die nachfolgende einstweilige Verfügung:

Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu zweihundertfünfzigtausend Euro oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten - Ordnungshaft auch für den Fall, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann - wegen jeder Zuwiderhandlung untersagt,

im geschäftlichen Verkehr Verbraucher ohne deren vorheriges Einverständnis zu Werbezwecken anzurufen oder anrufen zu lassen - wenn dies geschieht, wie im November 2022 und am 08. Dezember 2022 mit den Telefonanrufen bei Frau B.

Diese Beschlussverfügung stellte der Verfügungskläger an die Verfügungsbeklagte, aber nicht an deren Prozessbevollmächtigte zu.

Nach Widerspruchseinlegung durch die Verfügungsbeklagte hob das Landgericht Regensburg mit Urteil vom 31.03.2023 die Beschlussverfügung vom 18.01.2023 auf und wies den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 17.01.2023 zurück. Zur Begründung führte es aus, dass der Verfügungsbeschluss nicht innerhalb der Vollziehungsfrist ordnungsgemäß zugestellt worden sei.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Verfügungskläger mit seiner Berufung. Er beantragt,

die einstweilige Verfügung des Landgerichts Regensburg vom 17.01.2023 unter Zurückweisung des Widerspruchs der Verfügungsbeklagten zu bestätigen.

Hilfsweise beantragt er, die einstweilige Verfügung neu zu erlassen.

Zur Begründung führt er aus, dass eine Zustellung an die jetzigen Verfahrensbevollmächtigten der Verfügungsbeklagten lediglich dann veranlasst gewesen sei, wenn diese nach § 172 ZPO bereits zum damaligen Zeitpunkt für das Verfügungsverfahren bestellt gewesen wären und der Verfügungskläger hiervon hinreichend sichere Kenntnis gehabt hätte. Dies sei vorliegend jedoch nicht der Fall gewesen. Auch habe sich aus dem anwaltlichen Schreiben vom 09.01.2023 (Anlage ASt 11) der Bezugspunkt der Zustellungsbevollmächtigung nicht hinreichend ergeben.

Die Verfügungsbeklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung. Zur Begründung führt sie u.a. aus, dass ca. 30 verschiedene Angelegenheiten in F...

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