Normenkette

BGB § 823

 

Verfahrensgang

LG Nürnberg-Fürth (Aktenzeichen 12 O 7867/96)

 

Tenor

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des LG Nürnberg-Fürth vom 30.10.2000 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor wie folgt gefasst wird:

1. Der Anspruch des Klägers auf Festsetzung eines Schmerzensgeldes gem. Nr. 1 des Antrags des Klägers im Schriftsatz vom 28.10.1998 wegen fehlerhafter Behandlung von 1992 bis 12.5.1995 ist dem Grunde nach gerechtfertigt.

2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die materiellen und immateriellen Schäden – Letzteres soweit sie nach dem 31.12.1998 aufgetreten sind und noch auftreten – aus den ärztlichen Behandlungsfehlern von 1992 bis 12.5.1995 zu bezahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 5.000 Euro abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 153.389 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt vom beklagten Arzt Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen fehlerhafter Heilbehandlung und unterlassener Aufklärung.

Bei dem am 30.1.1971 geborenen Kläger wurde im Juni 1980 erstmals der Verdacht auf eine Erkrankung der familiären hämophagozytischen Lymphohistiozytose (Morbus Farquhar, abgekürzt FHL oder auch FEHL, FEL, FHLH, HLH; im Folgenden FHL) diagnostiziert. Der Kläger litt damals unter Gelbsucht und einem Infekt der oberen Atemwege.

Zwei Brüder des Klägers starben in jungen Jahren. Der am 7.10.1969 geborene Bruder M. verstarb am 17.10.1972 unter der … Verdachtsdiagnose einer akuten myeloischen Leukämie. Der am 27.1.1975 geborene Bruder verschied am 2.2.1981. Bei ihm war am 14.1.1980 FHL diagnostiziert worden, die dann zum Tode führte. Die Prozessparteien gehen davon aus, dass auch für M. als Todesursache FHL anzunehmen ist.

Bei der FHL handelt es sich um eine sehr seltene (ca. ein Fall pro einer Mio. Geburten), rezessiv vererbte Krankheit, von der 1998 weltweit weniger als 200 Fälle registriert waren. Die Krankheit ist durch eine Infiltration und schließlich Zerstörung aller Organe durch Histiozyten und Lymphozyten charakterisiert. Bei den Histiozyten, die im Knochenmark gebildet werden, handelt es sich um sog. „Fresszellen”. Sie dienen an sich der Infektbekämpfung und Abwehr körperfremder Substanzen. Die Ursachen, die zu einer überschießenden Aktivierung des Immunsystems mit vermehrter Bildung dieser Zellen führen, konnten noch nicht nachgewiesen werden. Der Beklagte zählt die Erkrankung zu den hämatologisch-lymphatischen Tumoren. Die Krankheit tritt meist bereits im Säuglingsalter auf. Nach Veröffentlichungen des Vereins H. e.V. gibt es eine hohe Dunkelziffer an Erkrankungen, da FHL unter Symptomen verläuft, die man auch bei banalen Infektionen finden kann. Oft wird die Erkrankung erst durch eine familiäre Häufung, z.B. durch die Erkrankung eines Geschwisterkindes, erkannt.

Als Symptome werden u.a. anhaltendes Fieber, oft verbunden mit sog. Banalinfekten (Schnupfen, Mittelohrentzündung etc.), Leber- und Milzvergrößerung, Lymphknotenschwellungen und Gelbsucht, Symptome des zentralen Nervensystems (im folgenden ZNS) sowie reduzierter Allgemeinzustand und Blässe genannt.

Pathologisch ist FHL nicht immer nachweisbar, so dass oft nur der klinische Verlauf die Diagnose erhärtet.

Medikamentös ist FHL derzeit nicht zu heilen. Durch immunsuppressive Medikamente, Zytostatika und Cortison kann jedoch ein vorübergehendes Zurückweichen der Krankheitssymptome erzielt werden. Die Krankheit selbst führt zum Tode.

In den achtziger Jahren wurden Heilversuche mit Knochenmarktransplantationen (im Folgenden KMT) unternommen. 1992 wurde in Deutschland mit der KMT bei FHL begonnen. Das 1993 in 27. Aufl. erschienene Lehrbuch der Kinderheilkunde von F.J. Schulte und J. Spranger schreibt auf S. 440 zu FHL: „Die Knochenmarktransplantation scheint die einzige Heilungschance zu sein.”

Der Beklagte ist Mediziner, Universitätsprofessor und Vorstand des Instituts und der Poliklinik für klinische Immunologie und Rheumatologie der Universität E.-N. FHL fällt in sein Fachgebiet.

Im August 1985 übernahm er die privatärztliche dauernde Betreuung des Klägers und führte sie bis 12.5.1995 fort. Der Kläger wurde dem Beklagten erstmals am 3.8.1985 vorgestellt. Er litt u.a. an Fieber und Gelbsucht. Nach weiteren Befunderhebungen am 27. und 30.8.1985 stellte der Beklagte beim Kläger die Diagnose FHL, die er nach einer zytogenetischen Untersuchung im Jahre 1986 dem Vater des Klägers bestätigte.

1987 äußerte der Beklagte ggü. einem anderen Arzt, der Kläger habe keine Chance.

In den Folgejahren bis 1995 kam es beim Kläger immer wieder zu mehr oder weniger starken Krankheitsschüben, die medikamentös abgefangen wurden. Schließlich wurde de...

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